Der Rastlose

Der Rastlose

Ein rastloses Leben und Hetze im Alltag, fast immer sorgen sie für Seelenpein. Rastlosigkeit.

Teil 1

Oft sitze ich am frühen Morgen in der Natur. Wunderbar ist die allgegenwärtige Stille und die Harmonie, mit der die Welt um mich herum konstruiert ist.

Alles scheint nahtlos ineinander zu greifen und sich optimal zu ergänzen. Düfte, Farben und Geräusche, sie lassen meine Sinne regelrecht explodieren. Es entsteht für mich der Eindruck einer friedlichen Welt.

Doch kaum tritt etwas Menschliches auf meine Erlebnisbühne, so fällt es unverzüglich als störender Fremdkörper auf. Menschliches erscheint mir fast ausnahmslos disharmonisch. Ob es ein Motorrad ist, das durch den Wald dröhnt oder auch nur die lauten und nicht angepassten Stimmen einiger unbedachter Wanderer, eben alles das, es passt nicht in das natürliche Bild dieser Welt. Fast schon erscheint es mir, als wäre der Mensch eine schier unerschöpfliche Quelle jeglicher Disharmonie.

Es reicht ihm offenbar nicht, dass er seinen eigenen Lebensraum und den Raum sämtlicher Lebewesen dieser Welt bedroht und zerstört. Nein, er verbreitet eine allgegenwärtige Störung und nervöse Unruhe, die ich oft einfach nur als widerwärtig empfinde. Wie ein schlecht erzogenes Kind mit einer maßlos überzogenen Selbstüberschätzung, so poltert und lärmt die garstige Menschengöre auf dieser winzigen, blauen Kugel im All. Unsere Erde, sie ist ein Glücksfall, ein Segen für das Phänomen »Leben« in dem uns endlos erscheinenden Weltenraum. Würde der Mensch das nicht nur einfach wissen, sondern auch endlich begreifen…


Teil 2

Menschen hasten an mir vorbei. Einige von ihnen, sie blicken mich an. Doch sie sehen mich offenbar nicht. Meinen Körper nehmen sie wohl wahr, mich als Mensch jedoch nicht. Viele wenden sich ab. Als wären sie von meinem Anblick angewidert, so deute ich ihre Blicke. Sie scheinen mich zu verachten, ohne mich zu kennen. Augenscheinlich bin ich ihnen ein unwillkommener Artgenosse.

Vom Alltag getrieben und in nervöser Hetze, so drängen sie sich zwischen den Häuserschluchten hindurch. Es scheint für sie eine Qual zu sein, an den Ampeln warten zu müssen. Jeder von ihnen hat sein persönliches Ziel vor Augen. Keiner toleriert Ablenkung. Das Leben ist kurz, so ist die allgemeine Parole. Fast immer fühlt es sich zu kurz an, um alle seine Ziele und Träume erreichen zu können. So viele alte Wünsche sind zu realisieren. Für neue Träumprojekte, da bleibt kaum Zeit. Lebenszeit an sich, sie scheint immer dramatischer verknappt zu werden.

Unsere Zeit wird von anderen Menschen fremd verwaltet und gegen harte Währung gehandelt. Es erscheint uns nahezu unlösbar, eine befriedigende Zielerreichung und Traumrealisierung zu erlangen. Wir sind uns unserer Endlichkeit unangenehm deutlich bewusst. Irgendwann ist es dann auch schon vorbei, die Sache mit unserem Leben.

Wir streben es an, auf dem Sterbebett halbwegs erfüllt, auf unser Leben zurückblicken zu können. Angekommen, das möchten wir sein. Doch bereits in jungen Jahren ahnen wir, dass es wohl anders kommen wird. Zu viele Ziele und Träume wurden in unsere Köpfe gespült, als das sie alle in einem einzigen Menschenleben zu realisieren wären. Das ist vielen Menschen oft ein übler Gedanke. Wir ziehen es vor, diesen rasch zu verdrängen und das Thema Endlichkeit zu tabuisieren.

So hetzen wir also, als wären wir von einer Art Goldrausch besessen, durch unsere Lebenszeit. Wir beschleunigen ständig unseren Alltag und reichern ihn mit immer mehr Inhalten und selbst auferlegten Zwängen an. Medien und Werbung verleiten uns dabei stets, den Takt zu erhöhen.

Wie Reisende in einer bizarren Art Schnellzug, als dieses Bild sehe ich uns. Wie ein zu schnell ablaufender Film, so rast die Lebenslandschaft mit ihrem gewaltigen Multioptionsgebirge an unserem Waggonfenster vorbei. Nur noch weit in der Ferne ist so, überhaupt noch etwas erkennbar. Doch viele Menschlein, sie sind nahezu krankhaft getrieben und so sehr in ständiger Eile, als dass sie nicht einmal auch nur kurz, von ihrem Projektwerk aufblicken möchten. Wie in einer künstlichen Reisekapsel gefangen, so erledigen sie all jenes, was sie als Leben für sich begriffen haben.

Doch wirklich verstanden haben sie es wohl nicht, dieses wirkliche und echte Leben. Sie haben es mit all seinen Wundern, seiner Üppigkeit und seinen lieblichen Schönheiten regelrecht ausgesperrt. So werde also auch ich ignoriert, wenn sie alle an mir vorbeihasten. Ich bin für sie nur ein weiterer seelenloser Körper, an dem ihr moderner Eilzug vorbei rast. Das ist sehr traurig. Es verletzt die Welt. Es verletzt mich.

Fährt ihr Zug schließlich irgendwann einmal in einen Bahnhof ein und verringert er dabei seine Fahrt, dann öffnen sie ihre Augen und erkennen dieses wunderschöne Leben vor dem Fenster. Ein Leben dort draussen. Fehler werden offensichtlich und münden in Verzweiflung. So klettern die Menschen unsicher und irritiert aus ihrem Zeit getriebenen Lebenszug.

Geblendet sind sie, von der Frühlingssonne. Ein heller Gesang der Vögel, er schmeichelt ihren Ohren. Der sanfte Hauch des Windes streichelt die blasse Haut. Staunend stolpern sie unsicher durch ihre atemberaubende Lebenswelt. Sie erkennen plötzlich, wie wunderbar das Leben und bezaubernd diese Welt tatsächlich ist und für sie gewesen wäre.

Doch sie stehen nun leider am Ende ihrer Reise. Wieder einmal ist die Zeit für sie knapp. Zu gerne würden sie ihre neue alte Welt erkunden und sie von ganzem Herzen lieben können. Doch was ihnen am Ende in der Erinnerung bleibt, das ist nur die Fastleere und einsame Verzweiflung.

Autor: © Alexander Rossa 2024

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