Die Luft ist herrlich warm. Es ist überhaupt nicht schwül. Völlig verflogen scheint die Spannung in der Luft vom Tag. Es ist eine wunderbare Sommernacht. Das Zirpen einer Grille ist zu hören. Aus vielen geöffneten Fenstern kann man leise, die Geräusche der Fernseher hören. Alles ist so friedlich an diesem lauen Sommerabend. Es ist einer dieser ganz seltenen Abende, an dem man einfach nur eine schöne Frau küssen möchte. Man sehnt sich heimlich nach weichen, sinnliche Lippen und dem Hauch ihres feinen Parfüms. Man weiß dann meistens nie so genau, warum man sich eigentlich danach sehnt. Es ist wohl nur das positive Lebensgefühl, die Freude über einen wundervollen Abend, die diesen sinnlichen Wunsch ganz unerwartet aufblühen lässt.
Ich lehne mich zurück. Dann ziehe ich meinen altmodischen Krempenhut ein wenig in mein Gesicht. Über die verschiedensten Dinge beginne ich nachzudenken. Deren gemeinsamer Nenner ist dabei stets nur mein Urlaub, der vor zwei Tagen begonnen hatte. Niemand hat diese Auszeit mehr verdient, diesen kleinen, wunderbaren Urlaub, als ich. Der heutige Abend möge niemals enden, so ist mein Gedanke. Ich schließe meine Augen und entspanne.
Doch dann wird es plötzlich laut.
Wie Peitschenhiebe, so hallen die Worte durch die Nacht.
Harte Schritte hallen durch den Hof.
Ein junger Mann rennt schwitzend an mir vorbei. Ungläubig und erschrocken sehe ich ihn an. Seine Hautfarbe, sie ist schwarz. Schweißtropfen perlen ihm durch sein Gesicht. Er blickt sich nervös um, sieht mich an. Die Angst in seinen Augen, sie krallt sich regelrecht an mir fest. Das Flehen in seinem Gesicht, es droht mir wortlos, mich aus meiner schäbigen Sonnenliege zu kippen, wenn ich es unbeachtet lasse.
Ich stehe auf. Dabei schwanke ich noch etwas unsicher. Mein Herz schlägt mir, bis in den Hals hinauf. Es muss wohl etwas Schlimmes geschehen sein. Das ist mir sofort klar.
Plötzlich liegt eine seltsame und knisternde Spannung in der Luft. Sie scheint elektrisierend und ist mir reichlich unangenehm. Dann höre ich wieder harte Schritte im Hof. Es sind viele Schritte. Es hört sich an, wie ein wildes Trappeln. Der junge Mann hört sie auch. Er versteckt sich hinter mir. Dann beginnt er zu flehen und zu weinen. Ich bin jetzt hellwach.
Dann sehe ich drei kräftige Männer in der Einfahrt auftauchen. Ihnen folgt eine Frau. Sie schreien uns sofort an, als sie uns sehen. Sie beschimpfen uns ohne Vorwarnung. Dabei nähern sie sich rasch.
Ich sage nichts. Nur noch Angst habe ich, kann nichts sagen und mich nicht regen. Blitzschnell umkreisen uns die vier Gestalten. Sie werden immer lauter und bedrohlicher. Das Kreischen und Schreien im Hof, niemanden scheint es zu bemerken. Vielleicht wollen sie es nicht bemerken? Die Fenster sind überall geöffnet, aber keiner sieht hinaus.
Dann plötzlich schlägt einer der Männer zu.
Dann verschwinden die Gruppe. Alles ist so schnell wieder vorbei, wie es gekommen war. Wir liegen auf dem Boden. Beide liegen wir dort vor lauter Schmerzen gekrümmt. Der Junge stöhnt. Alles ist wieder ganz ruhig. Nur die vielen Fernseher in den Wohnzimmern, sie sind noch zu hören. Alles ist fast so friedlich, wie noch wenige Minuten zuvor. Nur die kleine Grille, sie ist verstummt.
Nach einer Weile versuche ich aufzustehen. Langsam versuche ich zu dem Jungen zu rutschen. Mir tut alles weh. Jeden Knochen in meinem Körper kann ich spüren. Ich habe den Geschmack von Blut im Mund. Er bewegt sich ein wenig. Der Junge versucht sich stöhnend aufzusetzen. Ich versuche um Hilfe zu rufen. Dabei huste ich immer wieder. Nur ein leises Krächzen dringt aus meiner Kehle. Dann blickt ein kleiner Junge aus der Toreinfahrt. Er schaut in den Hof hinein. Ganz schüchtern und vorsichtig reckt er seinen Kopf in unsere Richtung. Der Kleine sieht uns beide stöhnend auf dem Boden liegen. Er kommt vorsichtig auf uns zu. Neugierig ist er und fragt unsicher, ob es uns nicht gut geht. Eine Schirmmütze trägt er auf dem Kopf. In seiner Hand hält er einen ledernen Fußball. Immer wieder lässt er den Ball auf den Boden prallen. Dabei nuckelt er gierig an seinem bunten Lutscher.
Mit zitternder Stimme meine ich zu ihm, dass er bitte ganz schnell Hilfe holen soll. Dabei versuche ich mir ein Lächeln in mein Gesicht zu quälen. Er blickt sich um. Dann schüttelt nur mit dem Kopf und verschwindet wieder in der Toreinfahrt. Dort hört man seinen Ball immer wieder auf den Boden prallen.
Ich versuche, mich von meinen Schmerzen abzulenken. Jede Bewegung erfahre ich als Hölle. Es fällt mir schwer Luft zu bekommen. Dem Jungen geht es offensichtlich nicht besser. Die schöne Frau, eben jene mit den weichen Lippen, sie erscheint mir wieder in meinen Gedanken. Das ist schon seltsam. Doch ist sie mir nun egal. Ihr feines Parfüm, fiktiv in meinem Kopf, es ist verflogen.
Ein Mann erscheint an einem der geöffneten Fenster. Er blickt hinaus.
Ich kann ihn gut sehen, liege ich doch direkt unter seinem Fenster.
»Hoffentlich ist bald Ruhe hier!«, ruft er in den Hof und blickt uns dabei bewusst nicht an…
© Alexander Rossa 2024