Alles war ruhig, als Bina mit den drei Burschen aus dem Dorf bei der Hütte ankam.
Ihren angeschlagenen Peiniger, den schleppten die beiden Freunde von Naham noch immer mit sich.
Da der unwissende Jan noch immer ohnmächtig war, wusste nur Bina von der Möglichkeit, dass lauernde Umbrae Mortis auf sie warten könnten. Eventuell hielten sich diese bedrohlichen Schatten noch immer in der Nähe auf. Jedenfalls nahm Bina ernsthaft an, das die Schatten noch vor Ort waren.
Als sie in das Haus ging, sah sie sich daher immer wieder hektisch um.
Bina war unsicher. Naham der Sohn des Gastwirts, er folgte ihr einfach ungefragt, was Bina jedoch überhaupt nicht gefiel. Naham kannte Binas Haus und den Weg dort hin.
Im Haus war jedoch nichts mehr von den Schatten zu erkennen.
Bina atmete erleichtert auf.
So bot sie Naham gleich einen Stuhl an.
Der junge Mann rief seine beiden Freunde herbei.
Das gefiel Bina natürlich ebenfalls nicht.
Doch was sollte sie hier, ganz alleine in der Wildnis, tun?
Die beiden Freunde legten den unwissenden Jan einfach unsanft auf den Boden.
Er stöhnte. Offenbar kam er langsam wieder zu sich.
»Passt nur gut auf den Typen auf.«, wies Naham seine beiden Freunde an.
Diese nickten ihm nur bestätigend zu und setzten sich dann ebenfalls an den Tisch.
»Könnten wir vielleicht etwas kaltes Wasser bekommen. Eventuell bitte auch ein wenig Essbares? Vielleicht ist noch etwas vom Mittagessen für uns armen Retter übrig, Bina? Unser Weg zurück ins Dorf, der ist immerhin noch lang.«, fragte Naham freundlich und sah Bina dabei aufmunternd an.
Die hübsche Waldfrau traute den drei Kerlen jedoch nicht.
Sie wollte die Männer so schnell wie möglich los werden und ihnen sogleich geben, wonach sie verlangten. Dann sollten sie möglichst rasch aufbrechen.
Daher meinte sie: »Ja, gerne. Ich will schnell nachsehen, was ich noch habe und euch anbieten kann. Drei so tapfere Gesellen, die will ich nicht hungrig wieder zurück in den Wald schicken.«
Diese Worte gefielen den drei Burschen ausgesprochen gut, und sie wärmten sich ein wenig bei dem knisternden Feuer auf.
Als Bina ihnen das Wasser holte, vergewisserte sie sich der Armbrust, die bei der überstürzten Flucht unsanft auf den Boden gefallen war.
Naham bemerkte ihre Blicke sogleich, schwieg jedoch.
Als die Männer ihren Durst stillten und Bina etwas Suppe im alten Topf über dem Feuer erwärmte, erwachte der unwissende Jan aus seiner Bewusstlosigkeit. »W…was ist geschehen? Wo bin ich?«, fragte er und war noch ganz benommen.
Er hatte einen richtig heftigen Schlag auf den Kopf bekommen.
Auf seiner Stirn war etwas getrocknetes Blut zu erkennen.
Über seine rechten Wange, dort verlief ein langer, roter Kratzer.
Den hatte ihm offenbar Bina selbst verpasst, als er sie im Wald vergewaltigen wollte.
»Du bist ein Schwein und bist in deiner leibhaftigen Hölle erwacht.«, rief ihm einer der beiden Freunde Nahams frech zu. Die Männer lachten.
Sie fanden die Antwort schlagfertig und durchaus angemessen.
Bina jedoch, ihr war weiterhin sehr unwohl.
Nun hatte sie es nicht mehr nur mit einem einzigen Mann zu tun, sondern gleich mit vier Männern der ganz dubiosen Art.
Als sie den drei Burschen warme Suppe in ihre tiefen Holzschalen einschenkte, da zitterten ihre Hände. Sie versuchte das Zittern zu vermeiden. Doch es gelang ihr einfach nicht.
Naham bemerkte auch diese kleine Unsicherheit sofort. Doch tat er weiterhin so, als hätte er nichts gesehen.
Als der unwissende Jan sich schließlich erheben wollte, hielt er sich dabei seinen Kopf. Offenbar hatte er noch deutliche Schmerzen.
Sofort stand einer der jungen Burschen aus dem Dorf auf und trat ihm brutal und ohne jegliche Vorwarnung in den Magen. Der ohnehin noch verwirrte Mann brach daraufhin erneut zusammen und lag stöhnend auf dem Boden.
»Mensch, musste das denn wirklich sein?!«, schrie Bina den Burschen an.
Sie hatte der plötzliche Gewaltausbruch doch sehr erschreckt. Sogleich kümmerte sie sich um den unwissenden Jan.
Bina wusste nur zu gut, dass es für sie besser war, diesen Mann bei Gesundheit und am Leben zu erhalten. Nur durch ihn war es ihr möglich, ihren echten Jan irgendwann wieder zu treffen. Bei jedem Schlag und jedem Tritt litt sie mit ihm. Auch wenn es nicht der Jan ihres Herzens war, der dort zusammen gekrümmt auf dem Boden lag, so war es doch noch immer sein Körper. Sie war eine sehr empfindsame Frau, und zudem war sie verliebt. So einfach war es ihr daher nicht möglich, beide Jans von einander getrennt zu betrachten.
»Was willst du denn noch von diesem Schwein? Der Kerl hat versucht, dich zu vergewaltigen. Wir hätten ihm im Wald den Hals umdrehen und den Tieren überlassen sollen.«, verteidigte sich jener Bursche, der den unwissenden Jan getreten hatte.
»Ach, lass sie doch. So sind die Weiber eben.«, mischte sich Naham ein und löffelte seine Suppe weiter.
»Ja, recht hast du wohl, Freund Naham. Viele von den Weibsbildern, sie wissen nicht, was sie eigentlich wollen. Da machen sie uns Männern erst schöne Augen, wackeln mit den Brüsten und wundern sich, wenn man sie dann nehmen will. Die Weiber spielen doch alle nur mit uns.«, erklärte sich der grobe Bursche und sah Bina dabei abwertend von oben bis unten an.
Sein bisher ruhig gebliebener Freund, er grinst ihm bestätigend zu.
Die Suppe tropfte ihm dabei noch aus dem Mundwinkel.
»Du musst es ja wissen. Die einzige Frau, die jemals etwas von dir wollte, sie war sicher jene mit den 5 schmutzigen Schenkeln an dem Ende deines Armes.«, zeigte sich Bina bissig.
Der Bursche sah sie sogleich zornig an.
Er war ziemlich aufgebracht und wollte sich Bina greifen.
Doch Naham war schneller. Er warf sich zwischen die beiden und sah seinem Freund direkt in das Gesicht.
»Lass es sein, sage ich dir.«
Beide Gesichter waren so eng bei einander, dass sie gegenseitig ihren warmen Atem riechen konnte (dieser war sicher nicht der beste).
»Naham, treibe es nicht zu weit mit mir. Ich warne dich. Das könnte sonst noch ein böses Ende mit uns beiden nehmen.«, knurrte der aufgebrachte Bursche den Sohn vom Gastwirt an.
Der dritte Bursche im Bunde, er hatte inzwischen aufgehört, seine Suppe zu löffeln.
Er sah seine beiden Freunde mit offenem Mund und weit geöffneten Augen an.
Bina hatte es schon bemerkt. Dieser junge Mann, er war nur einer dieser klassischen Mitläufer. So eine Art Geselle war es stets gewohnt nur das zu tun, was man ihm auf trug. Bina kannte das noch aus ihrer Mädchenzeit. Solche Mitläufer hatten eher wenig Ideen und hassten es, sich für etwas entscheiden zu müssen.
Es lag merklich Spannung in der Luft.
Plötzlich hörte man ein krächzendes Lachen.
Es kam von dem unwissenden Jan, der sich inzwischen auf dem harten Boden hingesetzt hatte. Er wackelte von einer Seite, auf die andere und war noch immer benommen.
Ihm ging es offenbar wieder etwas besser.
Naham und sein aufgebrachter Freund sahen zu ihm hinunter und ließen sogleich wieder voneinander ab. Naham setzte sich wieder an den Tisch.
Der gewaltbereite Kerl aus dem Dorf spuckte vor dem unwissenden Jan aus und setzte sich auf einen alten Holzklotz vor dem Fenster.
Bina hatte die Aufregung genutzt, um unbemerkt die Armbrust griffbereit zu legen.
Sie hatte inzwischen furchtbare Angst.
»Wann wollt ihr wieder aufbrechen?«, fragte sie Naham übertrieben freundlich.
Ohne seinen Blick zu heben, antwortete er: »Gib uns noch einige Minuten Zeit, Bina. Wir müssen uns zudem noch überlegen, was wir mit dem Typen dort anstellen sollen. Wir können dich doch hier nicht alleine mit ihm zurück lassen.«
Der Mitläufer kratze den letzten Rest seiner Suppe aus der Holzschale.
Der Bursche am Fenster, er schmollte und sah hinaus.
Das Feuer knisterte im Kamin.
»Wir werden ihn mitnehmen und ihn im Dorf dem Richter übergeben.«, schlug Naham vor.
»Das geht nicht.«, meinte Bina.
»Was…? Warum geht das nicht? Der Blödmann hat versucht, dich zu vergewaltigen. Wir können ihn nicht einfach laufen lassen.«
Bina wurde nervös.
»Ihr könnt ihn nicht mitnehmen. Ich brauche ihn hier.« »Ich verstehe nicht ganz, Bina. Warum brauchst du ihn hier? Hätten wir dir womöglich nicht helfen sollen?«
»Ich habe es dir doch gesagt. Manche Weiber stehen nun einmal darauf, hart genommen zu werden. Du siehst es ja nun selbst.«, mischte sich der Bursche am Fenster erneut ein.
Bina schüttelte nur angewidert mit dem Kopf.
»Halte doch einfach die Klappe. Ich kann deinen Mist einfach nicht mehr hören.«, rief Naham seinem groben Freund zu.
»Naham, es ist wohl recht schwierig zu verstehen. Ich weiß das schon. Aber ich muss bei diesem Mann bleiben. Auch wenn er ein Schwein ist, so sind wir miteinander verbunden. Ich darf ihn einfach nicht verlieren.«
Naham sah sie ungläubig an.
Hier stimmte doch etwas nicht.
Seine Neugier, sie war geweckt.
»Was hast du mit dem? Was ist das für eine Geschichte, die dich mit ihm verbindet? Willst du uns nicht ein wenig davon erzählen, Bina?«
Bina dreht sich jedoch weg. Sie wollte Naham und seinen üblen Freunden nichts von den beiden Jans erzählen. Sie würden ihr ohnehin nicht glauben.
Auch hatte der Jan ihres Herzens sie davor gewarnt, anderen von der Geschichte zu erzählen. Zudem war der unwissende Jan nun auch noch mit dabei und sah sie interessiert an. Er durfte auf keinen Fall etwas von den wahren Vorkommnissen der letzten Zeit erfahren. Das war wirklich ein schönes Dilemma in dem Bina nun steckte.
»Dort draußen laufen Menschen herum.«, bemerkte der Kerl vom Fenster plötzlich.
Naham sah Bina fragend an.
»Erwartest du noch Besuch?«, fragte er sie und gab seinem stillen Freund am Tisch ein Handzeichen zum Aufstehen.
Naham ging zum Fenster.
Er achtete darauf, dass man ihn von draußen nicht sehen konnte.
In einiger Entfernung von Binas Haus schlichen tatsächlich zwei Männer im Unterholz des nahen Waldes herum. Sie blickten immer prüfend wieder zum kleinen Haus.
Offensichtlich war dieses Haus tatsächlich ihr Ziel.
»Bina, zwei Männer sind dort im Wald. Sie wollen wohl etwas von dir. Die ganze Zeit schauen sie zum Haus, halten sich jedoch weitgehendst verborgen. Kennst du zwei solche Typen? Beide sind ziemlich groß und kräftig gebaut. Sie sind wie Leute aus der Stadt gekleidet und ganz offenbar nicht von hier. Einer trägt helle Haare, der andere ist eher blond. So wie ich es erkennen kann, trägt keiner von ihnen einen Bart.«
Bina zuckte mit den Schultern.
»Nein, ich erwarte keinen Besuch und kenne solche Männer hier in der Gegend nicht. Vielleicht sind es Wanderer, die sich verirrt haben?«, antwortet sie fast flüsternd.
Insgeheim dachte sie nur daran, dass die Situation für sie immer schlechter zu werden schien. Bald schon hatte sie es mit zwei weiteren, zwielichtigen Männer zu tun. Dabei hatten ihr schon die bereits anwesenden Herrschaften völlig ausgereicht. Ganz offensichtlich war es wirklich nicht ihr guter Tag.
»Wenn sie kommen, dann solltest du ihnen öffnen. Wir werden uns verteilen und sie erwarten. Hegen sie Übles gegen uns, werden wir ihnen einen überraschenden Empfang bereiten. Den werden sie dann so schnell nicht mehr vergessen.«, wies Naham flüsternd an.
Ihm gefiel es tatsächlich, den heldenhaften Anführer zu spielen.
Er vertraute darauf, dass seinem Kommando alle Anwesenden folgten.
Bina ging diese angeberische Art Nahams jedoch ziemlich auf die Nerven. Sie hatte genug von diesem ganzen übertrieben männlichen Auftreten.
»Das kannst du ja gerne machen, Naham. Ich jedoch, ich werden jetzt hinaus gehen und beide Herren mit meiner Armbrust bekannt machen. Dann wird sich rasch zeigen, ob sie Freund oder Feind sind. Sind sie Feinde, dann werde ich den Kerlen ein drittes Nasenloch verpassen, noch bevor ihr auch nur einen Ton von euch geben könnt.«
Darauf hin griff sie sich die gespannte Armbrust, die sie sich bereit gelegt hatte und ging zur Tür ihres Häuschens.
»Bina, nicht…!«, rief ihr Naham zu, während die beiden anderen Kerle sie nur verblüfft ansahen.
Bina hielt kurz inne. Sie wollte jedoch nicht auf Naham hören, nur etwas ergänzen: »Ach, ehe ich es vergesse. Denkt bitte daran, auf den angeschlagenen Kerl da unten auf dem Boden aufzupassen. Nicht das ihm wieder seine Geilheit in den Kopf steigt und er sein Glück jetzt bei euch probieren wird.«
Dann lachte sie kurz auf und öffnete die Tür.
Sie hielt die Armbrust gespannt und im Anschlag.
Als sie die beiden Kerle im Wald entdeckte, nahm sie den größeren von ihnen direkt in das Visier.
»Kommt heraus! Was treibt euch in diese Gegend und zu meinem Haus?«, rief sie den Männern mutig zu.
Beide sahen sich an. Offenbar waren sie von dem resoluten Verhalten der hübschen Hexe überrascht worden und erstaunt.
»Aber bitte ganz, ganz langsam, meine Herren!«, fügte Bina ihrem Aufruf noch schnell hinzu. Die beiden Männer kamen aus dem Wald heraus und näherten sich langsam Bina.
»Gute Frau, wir führen nichts Böses im Schilde. Wir möchten uns nur ein wenig umsehen, wenn sie es gestatten.«, meinte der größere Fremde.
»Ich gestatte es ihnen aber nicht. Warum sollte ich auch? Das ist mein Grund und Boden, und es ist mein Haus.«, antwortete sie.
»Wir verstehen das. Doch hier ist eine seltsame Kraft am Werk, die wir untersuchen wollen. Vielleicht leben sie in Gefahr, gute Frau.«
Bina wurde hellhörig. Was waren das nur für zwei kuriose Gesellen?
Offenbar waren sie wegen dem Xyralum hier.
Doch woher wussten sie davon?
»Was ist das für eine seltsame Kraft, von der ihr da sprecht?«, gab sie zurück.
Der größere von den beiden Männern kam einige Schritte näher zu ihr.
»Es ist eine alte Kraft der Natur. Sie kann sehr nützlich sein, aber auch Leid und Krankheit bringen. Wo sie auftritt, da ist das Böse oft nicht fern.«, erklärte ihr der Mann.
»Das Böse? Was versteht ihr denn unter dem Bösen?«, wollte Bina wissen.
»Wir meinen die Finsternis in unser aller Herzen. Diese Kraft befreit die Finsternis, setzt sie frei, um viel Böses zu tun.«, meinte der Mann.
Sein Partner nickte bekräftigend und fand die Antwort offenbar ziemlich gut.
»Das hört sich aber schon sehr seltsam an. Wer sagt mir denn, dass ihr nicht lügt? Vielleicht wollt ihr nur eine arme und wehrlose Frau überfallen und ausrauben?«, unterstellte Bina den beiden Kerlen.
»Verehrte Frau, ich bitte sie, wer bedroht zur Zeit denn tatsächlich wen mit einer Waffe? Senkt doch bitte die Armbrust, und wir werden euch mehr von dieser Kraft erzählen. Mit dem Bolzen auf die Brust gerichtet, da lässt es sich nicht besonders gut sprechen.«, gab der Mann zu bedenken.
Bina musste sich entscheiden.
Ihr wuchs die ganze Sache allmählich über den Kopf.
Am liebsten wäre sie einfach nur fort gelaufen.
Was war dieses Plätzchen im Wald doch schön ruhig und freundlich gewesen, bevor sie Jan die Tür geöffnet hatte. Mit Jan kam der Unfrieden in ihren Wald. Aber mit ihm, da kam auch endlich die Liebe zu ihr zurück.
»Nein, diese Schatten sind hier nicht mehr. Ihr könnt wieder gehen.«, entfuhr es ihr dann als Antwort. Doch kaum hatte das letzte Wort ihren Mund verlassen, da wurde ihr klar, dass sie etwas verraten hatte, was sie wohl lieber hätte für sich behalten sollen.
Die beiden Männer tauschten untereinander rasch Blicke aus.
»Sie sind hier nicht mehr? Das heißt also, wenn ich sie so richtig verstehe, dass sie hier waren, oder? Jetzt nehmt doch Vernunft an. Wir wollen euch nicht schaden. Wir wollen euch nur ein paar Fragen stellen und das Haus untersuchen. Dann werden wir wieder gehen, gute Frau.«, meinte der größere Mann und kam wieder ein wenig mehr auf Bina zu.
Bina rief ihm sogleich eine Warnung zu.
Doch der Mann ignorierte sie einfach. Dann schoss sie mit der Armbrust.
Der Pfeil surrte durch die Luft, mitten durch den Mann hindurch.
Dieser zeigte keinerlei Reaktion auf ihren Angriff.
Der Pfeil hatte ihn nicht verletzt. Er war einfach durch ihn hindurch geflogen.
Bina traute ihren Augen kaum und stand völlig überrascht, mit geöffnetem Mund da.
»Bina, komm schnell zurück ins Haus!«, hörte sie Nahams aufgeregte Stimme von hinten aus dem Haus rufen.
Sofort war Bina wieder bei der Sache.
Sie dreht sich um und rannte zurück zu ihrem Haus.
Bina hörte den Mann hinter sich lachend rufen: »Lorgam, sie ist eine Hexe. Ich bin mir sicher, dass sie eine Hexe ist.«
Dann hörte sie plötzlich beide lachen.
Bina lief ins Haus und schloss sogleich die Tür hinter sich.
Sie war ganz aufgeregt und außer Atem.
»Was sind das für Typen? Bina, hast du das gesehen? Der Pfeil, er ist einfach durch ihn hindurch geflogen. Was sind das nur für unheimliche Gestalten? Da ist bestimmt böse Magie im Spiel.«, rief ihr Naham aufgeregt zu.
Er hatte sie gleich hinter der Tür erwartet.
Seine beiden Freunde standen neben dem Fenster und sahen unruhig hinaus.
Der unwissende Jan saß schweigend auf dem Boden und schüttelte immer wieder nur leicht seinen Kopf.
Bina spannte die Armbrust neu und antwortete: »Ich weiß es nicht, Naham. Sie sind wegen diesen unheimlichen Schatten hier. Der Kerl auf dem Boden dort, er ist ein verirrter Wanderer. Ich hatte ihm Obdach gewährt. Diese unheimlichen Schattenwesen, sie hatten uns plötzlich im Haus angegriffen. Wir waren vor ihnen in den Wald geflohen. Dort wollte mich der Typ schließlich vergewaltigen. Den Rest kennt ihr ja selbst.«
»Diese beiden Typen, was wollen sie? Wer sind sie?«, fragte Naham erneut und war dabei ziemlich ungehalten.
»Ich weiß es nicht. Naham, höre mir doch zu. Ich weiß es nicht! Offenbar haben sie etwas mit diesen seltsamen Schatten zu tun.«, antwortete Bina ihm und war ebenfalls angespannt.
»Wer ist denn dort noch bei dir mit im Haus, holde Hexe? Ist es vielleicht ein Xyral? Wir wissen das einer in der Nähe ist. Es hat keinen Zweck mehr, es zu leugnen. Wir wollen doch nur mit ihm sprechen.«
Bina zuckte mit ihren Schultern und rief: »Ich weiß nicht, was ihr meint. Ich soll eine Hexe sein? Das ich nicht lache! «
Doch eigentlich war ihr überhaupt nicht zum Lachen zumute.
Diese beiden Kerle dort draußen, sie wussten etwas über das Xyralum.
Jan hatte sie davor gewarnt, in ihrer Welt offen davon zu sprechen.
Die beiden Kerle, sie hielten scheinbar nicht viel von dieser Vorsicht.
»Was meint der Kerl nur? Du sollst eine Hexe sein, Bina? Ein Xyral, eine Hexe, was ist das alles überhaupt?«, wurde sie von Naham hastig befragt.
Auch die beiden Burschen am Fenster sahen sie auffordernd an.
Ihre Männlichkeit schien merklich eingeschmolzen zu sein.
Man konnte deutlich Angst in ihren Augen erkennen.
»Das ist alles offenbar nur ein Missverständnis. Diese beiden Kerle, sie müssen von einer Art Sekte oder Bruderschaft kommen. Es ist doch ganz offensichtlich, dass sie nichts Gutes im Schilde führen.«, meinte Bina.
In ihrer Welt war das Wort Hexe weitgehend unbekannt. Das der Mann in ihr eine Hagzissa sah, das wollte sie Naham nicht unbedingt verraten.
»Ja, alles ist ganz unglaublich einfach. Diese Schatten sind ganz einfach zu erklären. Dieser Pfeil, der einfach durch den Mann hindurch geflogen ist, ja, der ist es sicher auch. Stimmt doch, oder? Bitte halte uns nicht für Idioten, Bina. Wenn wir dir wirklich helfen sollen, dann sollten wir schon wissen, mit wem oder was wir es zu tun haben. Das wäre einfach nur fair.«, forderte Naham von ihr und sah sie dabei ernst an.
Bina wusste, dass sie alle es hier mit Kräften zu tun haben, gegen die sie nichts auszurichten vermochten. Doch würde sie den Männern im Haus davon erzählen, dann wäre wohl jegliche Zuversicht auf ein Entkommen bei ihnen erloschen. Auch wusste sie selbst kaum etwas über diese Männer und diese Umbrae Mortis. Jan hatte ihr nur ein einziges Mal davon erzählt. Nur einen kleinen Überblick hatte sie von dem erhalten, was das Sein für sie tatsächlich bereit hielt.
»Sie kommen nicht näher. Sie scheinen zu warten.«, meinte der ansonsten eher stille Mitläufer am Fenster.
Das fand Bina seltsam. Es schien ihr, als waren die beiden Männer vor dem Haus ratlos. Bina wusste nur zu gut, dass es keinen Xyral mehr hier in ihrem Haus gab.
Die Umbrae Mortis waren wieder abgezogen, als sie kein Xyralum mehr finden konnten. Sicher hatten das auch die beiden Männer inzwischen bemerkt.
Doch warum warteten sie dann weiterhin vor dem Haus?
Bina ahnte nichts Gutes.
Die beiden Männer, sie hatten offensichtlich von der Liebesgeschichte zwischen dem Xyral Jan und der Hagzissa Bina Wind bekommen. Sie rechneten mit der Wiederkehr des Xyrals und benutzten Bina jetzt als Lockvogel. Sollte Jan wiederkommen, dann würde er den Männern ohne Zweifel in die Falle gehen. Sie hätten dann einen Xyral und eine Hagzissa mit einem Schlag gefangen.
Jan hatte ihr davon erzählt, dass er sehr weit von dem Erdäum Terra entfernt war.
Er rechnete bestimmt nicht damit, hier Feinde anzutreffen.
Doch es war Krieg, und sie beide waren irgendwie darin verwickelt.
Das hatte Bina verstanden. Sie musste versuchen, dieser Falle zu entkommen oder die beiden Männer irgendwie rasch los werden.
Dann fiel ihr Blick auf den unwissenden Jan, der noch immer auf dem Boden kauerte und inzwischen damit begonnen hatte, gelangweilt seinen Speichel auf den Boden tropfen zu lassen. Ihn musste sie schützen, und ihn musste sie mitnehmen, wollte sie fliehen.
Bina seufzte laut.
Dieser blöde Tag, er war einfach nicht ihr Tag.
Autor: © Alexander Rossa 2024