E-Book Roman Das Xyralum

Das Licht der Hoffnung (Kapitel 11)

Jan hatte einige Tage im Haus der Vernunft bei Naya verbracht.

Die große Raubkatze hatte ihm sehr viele ihrer Gedanken übertragen. Aber dennoch erschien alles im Haus der Vernunft unendlich friedvoll und angenehm.
Es gab an diesem Ort auch einige andere Raubkatzen.

Doch inzwischen hatte Jan erfahren, dass ihre Gestalt nur eine Interpretation seines Bewusstseins, auf ein für ihn völlig unbekanntes Reizmuster war. Jan war einfach nicht in der Lage diese unbekannten Sinnesreize entsprechend auf zu lösen. Da es diese feinen, aber mächtigen Reize jedoch gab und sie definitiv real waren, setzte sein Bewusstsein eine Art Ersatzbild ein, das diesem Reizmuster am nächsten kam.
Ganz ähnlich waren auch viele der Phänomene um Spuk und diverse Phantome im Erdäum Terra zu erklären, vor denen sich die Menschen seit Urzeiten fürchteten. Der Fluchtgedanke vor diesen Phänomenen, er war auf die Verunsicherung zurück zu führen, die der Verstand mit diesen ihm unbekannten Wahrnehmungen hatte. Es war ein Überlebensinstinkt, vorzugsweise die Flucht vor etwas Unbekanntem anzubieten, als vor Ort zu verweilen und es zu erforschen.

Das Haus der Vernunft und im Prinzip sogar Nayas gesamte Welt, sie basierten auf Reizen und deren Interpretationen. Aber dennoch empfand Jan alles um ihn herum, als völlig real und wirklich. Die Kultur Nayas verstand es, diese Reizmuster in hoher Geschwindigkeit auf einer Ebene zu verändert, die eine Erfahrung über das Unterbewusstsein provozierte. Auf diese Weise konnten sie ihr Erdäum nahezu grenzenlos ausdehnen und beliebig verändern, ohne seine Grenzen tatsächlich zu überschreiten.

Die vielen leuchtenden Kugel, die in grosser Anzahl als Orbs durch die Luft schwebten, sie waren eine hoch entwickelte Form der Kommunikation mittels Reizaustausch. Über sie konnten diese Wesen Jans Gedanken steuern und sein Bewusstsein manipulieren, ohne dass es ihm selbst unmittelbar bewusst war. Die Reize waren dabei so raffiniert und intelligent in den Orbs aufbereitet, dass die Erlebnisse und Erfahrungen eines ganzen Menschenlebens darin, hätten Platz finden können.
Der Kontakt mit der Kugel selbst jedoch, er hätte dazu nur den Augenblick eines Wimpernschlages benötigt. So wie man in einigen Träumen meint, ganze Jahre durchlebt zu haben, ehe man schliesslich aufwacht, nur um dann festzustellen, lediglich wenige Augenblicke geschlafen zu haben, so konnten diese Kugeln die Illusion eines ganzen Lebens zu einem winzigen Augenblick komprimieren.

Naya nannte diese Kugeln Lichter der Hoffnung.
Jan gefielen diese Orbs so sehr gut, dass er gleich der gesamten Kultur dieses Erdäums diesen Namen verlieh. Er befand sich demnach also in dem Erdäum der Kultur des Lichts der Hoffnung.

Naya war das jedoch völlig egal.
Ihr Ziel war es, Jan mit Informationen und privilegiertem Wissen zu versorgen.
Für Naya war Jan selbst ein Licht. Er war ihr Botschafter, um den niederen Erdäen den Frieden und das Licht der Hoffnung zu bringen.
So sollte Jan schliesslich eines der Lichter der Hoffnung, nach dem anderen, berühren, um sich für den Kampf gegen die Föderation zu rüsten.
Er durchlebte auf diese Weise viele Erfahrungen und ganze Leben anderer Kulturen, verlor dabei aber nur wenige Stunden. Naya liess ihn damit an der faszinierenden Tafel des allumfassenden Wissens speisen, bis Jan fast meinte, verrückt zu werden.

Die Lichter der Hoffnung waren einfach unglaubliche Gebilde. Sie wirkten stets so sehr unbedeutend und zerbrechlich. Doch sie waren in Wirklichkeit die Träger unvorstellbaren Wissens und Leidboten (Lernen durch Erleiden) höchster Güte. Jan verstand es rasch, dass er am schnellsten und am intensivsten lernte, wenn er diese gesamten Leben, die dieses Wissen nahezu wie eine Hülle umschlossen, in ihrem ganzen Schmerz und mit allen Gefühlen aufrichtig erfuhr.

Der Mensch muss sein Wissen stets erleiden, und je intensiver das Leid sein Bewusstsein berührt, desto intensiver wird sich ihm auch das Wissen offenbaren.
So wie erst die Dunkelheit dem Licht seinen wahren Wert verleiht, so öffnet das Erleiden dem Menschen die Tore zum privilegierten Wissen.
Es sind Pfade des Leidens, die zur echten Weisheit und zu privilegiertem Wissen führen. Das Licht der Hoffnung, es schaffte ihm das Leiden mühelos herbei, um das ganz grosse Wissen begreifen zu können. Sie wurden ihm zu einer quälenden Leidenschaft.

Erst als Jan mehr und mehr Kraft dafür benötigte, nicht selbst wahnsinnig zu werden und es schliesslich kaum mehr schaffte, die Leben voller Erfahrungen auseinander zu halten, da liess Naya die Lichter der Hoffnung verschwinden.
Sie wies Jan einen Raum der Ruhe zu, in dem er sich von seinen Strapazen erholen sollte. Es war ein wundervoller Raum, dessen Ausstattung keine Wünsche offen liess.
Doch hatte Jan dafür keinen Sinn.
Er hatte sich verändert.
Die vielen neuen Erfahrungen und das massive Leid, sie hallten in seinem Verstand, wie ein lautes Echo der Hölle, nach. Angst, Schmerz und Verzweiflung hatten sich tief in sein Bewusstsein gebohrt, als wären sie Dolche, die mit üblen Widerhaken versehen waren. Diese Wunden, sie mussten ausheilen. Jan war sich aber darüber im Klaren, dass er die daraus entstehenden Narben nie mehr verlieren würde.
Naya hatte ihm die privilegierten Informationen zwar für die Auseinandersetzung mit der Föderation gewährt. Doch irgendwann würde Jan einen hohen Preis dafür zahlen müssen.

Sollte die Föderation besiegt werden und sich das begehrte Gleichgewicht wieder einstellen, dann wäre er sofort selbst eine Bedrohung für das Waagumal. Alle Xyrale würden es dann sofort als ihre Aufgabe ansehen, ihn umgehend zu beseitigen, um das Waagumal zu schützen.
Selbst bei Naya und dem Licht der Hoffnung wäre dann kein Platz mehr für ihn.
Zu gross wäre die Bedrohung des Waagumals durch sein privilegiertes Wissen, als dass es auch nur noch ein Erdäum geben würde, in dem er unter kommen konnte.

So schlief Jan nur wenig.
Oft lag er einfach nur da und versuchte die quälenden Ereignisse aus den Lichtern der Hoffnung in seinem Kopf zu ordnen.
Jan weinte oft und viel.
Er dachte an Bina. Er vermisste sie. Ging es ihr gut?
Er sehnte sich nach ihrer Wärme und ihrer Liebe.
Das Leiden schien für Jan einfach kein Ende zu nehmen. Die Abgrenzungen verliefen mehr und mehr in einander und veränderten seinen Geist in eine völlig neue Richtung.
War das vielleicht Nayas eigentlicher Plan gewesen?
Wollte sie auf diese Weise vielleicht das Schicksal verändern?

Nach zwei Tagen erschien Naya bei ihm und meinte, dass nun die Zeit gekommen sei, um aufzubrechen. Die Föderation würde jeden Tag an Macht gewinnen und das Gleichgewicht damit, mehr und mehr aus den Fugen geraten.
Jan fühlte sich noch schwach. Aber er sah ein, dass er nicht mehr bleiben konnte.
Er war mit der Zielsetzung gekommen, Hilfe zu finden. Man hatte ihm geholfen.
Nun lag es an ihm, seine neuen Fähigkeiten und Erkenntnisse einzusetzen, um Schlimmeres zu vermeiden.

So verliess er schliesslich mit Naya das Haus der Vernunft und verabschiedete sich von ihr, ohne jemals ihr wahres Antlitz gesehen zu haben.
Sie war für ihn eine grosse Raubkatze und ein wundervolles Geschöpf.
Ihre Worte des Abschieds, sie fanden ausschliesslich in seinem Kopf statt.

»Jan, du musst nun gehen. Auch wenn du vieles nicht verstehst von dem, was dir die Lichter der Hoffnung gezeigt haben, so wird das offenbarte Wissen greifbar sein, wenn du es benötigst. Die Menge an Wissen im Sein, sie ist immer und überall gleich und präsent. Es ändert sich nur die Möglichkeit des Zugriffs. Wer vor einer Tür steht ohne zu wissen, dass es sich um eine Tür handelt, der wird diese auch nicht öffnen und passieren können. Mit dem erfahrenen Wissen in dir, stellen sich rasch die verschiedenen Formen der Macht ein. Mit ihnen erwirbst du die Fähigkeit, alles das zu verändern, was um dieses Wissen herum rankt. Mit der Zeit wirst du von ganz alleine lernen, alles das zu kontrollieren. Ganz sicher wirst du das schaffen, mein lieber Jan. Du bist ein Xyral.«

Jan jedoch, er hatte Angst. Er war verwirrt, und Naya spürte das.
Doch es waren unheilvolle Zeiten, so dass ihr keine andere Wahl blieb, als diesen einsamen Xyral in den Krieg zu schicken.
Doch wer war Jan in diesem Erdäum?
War er selbst auch nur eine Projektion seines eigenen Bewusstseins?
Das alles blieb dem alten Mann verborgen.
So stand er vor dieser seltsamen Kreatur in einer traumhaften Wunderwelt, die allmählich vor seinen müden Augen verblasste.
Schliesslich nahm er nur noch Konturen dieser bizarren Welt wahr, bis er plötzlich wieder auf der weiten, grünen Wiese stand, von der aus, er aufgebrochen war.

Fast meinte Jan schon, dieses bizarre Erlebnis und die sanfte Naya, sie waren wohl nicht mehr, als nur ein Traum.
Doch rasch spürte er wieder das noch heisse und dampfende Blei auf dem Boot seines Verstandes. Es war noch ganz schwitzig, und dieses bleierne, neue Wissen, es schmerzte ihn sehr. Es kostet ihn unglaublich viel Kraft, nicht einfach nur wieder tief in seine Gedanken zu versinken, um das Erfahrene mit Akribie zu ordnen. Denn nur die Ordnung und das Sortieren verschaffte ihm eine gewisse Erleichterung.
Nein, Jan durfte einfach hier nicht weiter verweilen.
Er hatte einen klaren Auftrag.

So blickte er sich um und erkannte in einiger Entfernung, ein fast schon winziges Licht der Hoffnung. Es schwebte über dem grünen Gras und schien auf offenbar ihn zu warten.
Jan zögerte nicht.
Er lief auf die leuchtende Sphäre zu und spürte ganz deutlich ihre Energie.
Plötzlich brach er aus der grünen Welt aus und fand sich direkt in dem Licht der Hoffnung wieder. Mit einer unglaublichen Kraft wurde sein Verstand regelrecht in den Nebel der zahllosen Erdäen hinaus geschleudert.
Jan wurde sofort wieder übel.
Er war also wieder unterwegs und auf Reisen.
Doch in welches Erdäum der Xyral nun geschleudert wurde, das wusste er nicht. Wenn Jan Pech hatte, so würde ihn das Licht der Hoffnung direkt vor die Füsse der gefährlichen Föderation werfen. Doch genau das, das wollte er sich überhaupt nicht vorstellen.
In ihm war der Drang nach Frieden und Ruhe unbeschreiblich gross.
Dieser Krieg und diese Feindseligkeiten, sie hatten in seinem Herzen keinen Platz.
Jan war verärgert, nahezu richtig wütend.
Doch eine Empfindung in ihm war stärker, als alles andere. Es war das Gefühl der Sehnsucht nach Bina. Diese Sehnsucht raubte ihm fast den Atem und brannte in seinem Brustkorb. Er musste zu ihr zurückkehren. Das war er dieser wunderbaren Frau, aber auch sich selbst, schuldig.

Autor: © Alexander Rossa 2024

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