Was ist Wahrheit? Ich meine, echte Wahrheit. Vieles in unserer Welt ist Interpretation des Gefühlten und Wahrgenommenen, Hörensagen oder schlicht Glaube. Doch das Echte, die Wahrheit, sie zu erkennen und zu begreifen ist ungemein schwer, eventuell sogar unmöglich. Vielmehr ist alles um uns herum bereits gefiltert und mit Vorurteilen behaftet. Auf diese Weise kann Wahrheit auch zur Unwahrheit und Fehlinterpretation werden, ohne das wir es überhaupt bemerken.
Doch ich komme ins Grübeln, wenn ich Kunst erlebe, Musik höre und so manche Kreation erlebe. Spricht sie mich innerlich so gut an, dass mir sogleich die Tränen der Verzückung kommen, weil sie mir so perfekt und genial erscheint, dann denke ich oft darüber nach, ob das nicht ein Kennzeichen für einen gewissen Wahrheitsgehalt ist. In ihr ist offenbar etwas enthalten, was sowohl beim Künstler, als auch bei mir und vielen anderen Menschen matcht. Hier habe ich den Anfangsverdacht auf Vorhandensein von Wahrheit, was sicher sehr wertvoll wäre. Da ist etwas, was sich in ihrem Kern, über jede Interpretation hinweg setzt, aber sich dennoch grenzenlos interpretieren lässt, ohne im Kern verändert zu werden. Könnte dieser Kern womöglich Wahrheit sein?
Ich versuche den Kern einzugrenzen. Ist er die Idee, das Gefühl, vielleicht sogar die Kombination aus vielen Sachen? Was ist es, was mich weinen läßt? Meine Theorie ist es, dass es das originäre Gefühl ist, was als Motivator hinter der Kunst steckt und ausgedrückt werden soll. Mit Hilfe von Emapthie erkennen wir das Gefühl und damit auch uns selbst wieder. Es dann in jeder Art und Weise interpretieren zu können und zu wollen, wäre dann nur eine weitere Spielform, eine Reflektion des Gefühls in verschiedenen Kostümen. Aber was immer bleibt, das ist das Gefühl. Die Kunst des Künstlers ist es, dieses Gefühl zu separieren und es so gut es ihm möglich ist, ungefiltert an seine Konsumenten zu transportieren. Vielleicht sogar seine Interpreation mitzuliefern, um die Auseinandersetzung mit der Wahrheit, zu provozieren. Demnach wäre Kunst in jeglicher Form eine Auseinandersetzung mit Wahrheit und ist daher oftmals gefährlich, provozierend und machtvoll.
Eine oder die Wahrheit wäre also das Gefühl? Ist das nicht zu einfach? Es mag sein, dass die Erkennbarkeit und Kraft der Wahrheit, sich durch ihre Einfachheit kennzeichnet. Suchen wir nach Wahrheit, sollten wir vielleicht bei den ganz einfachen Dingen zu forschen beginnen. Wenn das Gefühl Wahrheit enthält, vielleicht sogar Wahrheit ist, dann gibt es eine Schnittstelle bei der ein Reiz auf eine Sinneszelle trifft und damit das Gefühl auslöst. Wäre demnach nicht der Reiz selbst, bereits die Wahrheit? Denkt man das weiter, dann gibt es den Reizauslöser und die Motivation der Reizauslösung und damit eine funktionale Kausalkette, bei der man wieder nicht auf die Wahrheit zu treffen scheint. Ich denke, wir sind damit aber bereits an der Wahrheit an sich vorbei gewandert, weil bereits das Gefühl eine Interpretation in seiner subjektiv kultivierten Form ist. Interpretation jedoch, bereits einen wahrheitsverfremdenden Verdacht in sich trägt. Also lege ich hier meinen Finger auf das Urgefühl, das reine Premiumgefühl, die erste Wahrnehmung und Bekanntmachung mit dem menschlichen Geist. Also das »A« und nicht das »Aua« und schon überhaupt nicht das »Leiden«, um es einmal extrem simpel bildlich darzustellen. Praktisch (faktisch wäre zu ungenau) Wahrheit wäre demnach der allererste Kontakt des Bewusstseins mit einem Gefühl und die Kunst bereits eine mehr oder weniger kultivierte Form dieses Gefühls. Doch je unkultivierter diese an andere Lebewesen der Reiz-Reaktions-Architektur dringt, desto beindruckender ist diese Erfahrung vor allem, wenn sie dort als Urgefühl eindringt.
Wahrheit definiert sich daher offensichtlich aus einer Nähe zur Wirklichkeit und unser Vermögen, diese ungefiltert wahrzuehmen und zu lernen. Wahrheit könnte daher vielleicht die unmittelbar erfahrene Wirklichkeit sein. Unsere Verblüffungsresistenz Wahrheiten gegenüber könnte daher mit dem Unvermögen einhergehen, neue Aspekte der Wirklichkeit um uns herum wahrnehmen zu wollen oder zu können. Wir erschaffen uns mehr und mehr unsere eigenen Wirklichkeiten, Interpretationskonstrukte und Phantasiewirklichkeiten, die alle jedoch keine echten Wahrheiten liefern können. Wahrheiten können demnach nur über eine vielseitige Beschäftigung mit der Wirklichkeit erworben, oder zumindest empathisiert werden. Interessant ist demnach, dass ein gesellschaftlicher Empathieverlust und das Abwenden von der Erfahrung von Wirklichkeit, uns von neuen Wahrheiten abschirmen, was einer Theorie der Evolution nicht zuträglich sein dürfte und Gefahren mit sich bringt. Wir leben demnach in einem Ungleichgewicht aus Wahrheiten und Unwahrheiten, zum Nachteil der Wahrheiten und in einer gewissen Wirklichkeitsferne…