Narr

Ethik und Narrentum

Ein Unwetter kommt über die Insel und bringt uns das gleiche Wasser, das so viele Kinder in der Welt frieren läßt.

Ich sehe einen kleinen Jungen.

Er liegt im Staub.

Seine Knochen schimmern durch die Haut.

Er kann kaum die Augen geöffnet halten, und der Regen bedeckt seine Schmerzen, die aus Hunger geboren wurden. Er weiß nicht, daß er für eine Illusion steht, eine Illusion, in der wir leben.

Ich sehe ihn.

Doch er liegt draußen, und ich stehe hinter dem Fenster und wende mich ab, weil ich seinen Anblick nicht ertragen kann.
Die dunklen Augen verfolgen mich, obwohl hier im Haus bin und er draußen ist.

Ich schalte den Fernseher ein, will mich ablenken und sehe ihn, wie er auf dem Boden liegt, dort, hinter dem Reporter, der über den Regen spricht.

Ich schalte um.

Überall nur Krieg, Regen und er.

Er liegt im Staub und seine schwachen Kinderaugen blicken mich an. Überall stehen sie, die Reporter und zeigen Bilder von Flugzeugen, Soldaten und Bomben. Im Hintergrund liegt immer wieder er und schaut mich traurig an. Eine kleine Pfütze mit schmutzigem Wasser hat sich neben ihm gebildet.
Er zittert.

Ich bekomme plötzlich Angst.

Er soll verschwinden.

Die Flugzeuge sollen verschwinden.

Alle sollen sie weggehen, einfach aus meinem Leben gehen.
Der Fernseher ist nun aus.

Ich gehe in die Küche und will mir eine Pizza in den Ofen schieben. Ich höre den Regen laut an die Fenster prasseln. Dieser miese Regen.

Hier regnet es eigentlich doch nie.

Ich blicke auf die Pizzaschachtel, drehe sie um und werfe sie sofort entsetzt auf den Boden. Die Pizza auf der Packung sieht aus, wie sein Kopf, der Kopf von dem Kerl.

Da ist er wieder.

Ich laufe schreiend in die Stube und verstecke mich hinter dem Sofa.

Der Regen klatscht Tropfen für Tropfen gegen das Haus und stört meinen Frieden.

Er macht mich richtig wahnsinnig.

Jeder Tropfen wird zu einem Krampf in meinem Magen.
Nur die Mauer trennt mich von ihm, diesem Jungen.
Das Bild von ihm will einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden.
Er weint.

Ich kann es spüren.

Er ist in meinem Kopf. Inzwischen ist er ein Teil von mir.
Ich hasse ihn.

Er soll gehen.

Er ist draußen, ich bin drinnen, daß ist nun einmal so. Draußen muß er eben mit dem Regen rechnen.

Ich flehe zu Gott, dieser Regen möge endlich aufhören.
Doch mein Flehen wird einfach nicht erhört.

Tränen laufen über meine Wangen.

Ich will doch nur meinen Frieden.

Das ist mein Recht!

Ich will mein Recht!

Nach einer Weile schleiche ich mich zum Fenster, mag nachsehen, ob er verschwunden ist.

Nein, er liegt noch immer im Regen, mitten in einem dreckigen Schlammloch.
Der Regen läßt ihn langsam versinken.

Das ist gut.

Dann muß ich ihn nicht mehr sehen.

Gut, daß niemand meine Gedanken hört.

Ich ertrage die peitschenden Tropfen sofort besser und blicke den Jungen mit gespielter Freundlichkeit an. Er versucht einen Arm zu heben, ist aber viel zu schwach dazu.
Ich nicke ihm aufmunternd zu und beobachte, wie ihm das schlammige Wasser in den Mund läuft.

„Warum hilft ihm keiner?!“, rufe ich in den Regen hinaus und erwarte insgeheim natürlich keine Antwort, weil bei diesem Regen keiner von seinen Leuten draußen sein wird.
Dann schließe ich das Fenster und verkrieche mich wieder hinter der Couch.

Er muß verschwinden.

Weg, er muß weg!

Ja, ich will das er endlich versinkt.

Ich kann seinen Anblick nicht mehr ertragen.

Dann spüre ich, wie plötzlich meine Hose naß wird.

Sofort springe ich auf und sehe mit Erschrecken, wie Wasser unter der Tür in mein Haus läuft.

Entsetzt versuche ich die Tür abzudichten.

Der Wasserstrom wird immer stärker, schießt vom Berg hinab, direkt in mein Haus hinein.

Ich wate innerhalb kürzester Zeit bis zur Hüfte im Wasser und versuche mich auf den Schrank zu retten.

Das Wasser steigt und steigt immer weiter, so daß für mich schließlich nur ein Weg zur Rettung bleibt.

Ich muß das Haus verlassen.

Das ist für mich undenkbar.

Ich will nicht da sein, wo er ist.

Draußen.
Meine Leben spielt sich im Haus ab.

Da gehöre ich hin.

Da draußen gibt es nichts, was mich interessiert.
Das Wasser steigt unaufhörlich, bis hinauf, zu meinem Kinn.
Verlasse ich jetzt das Haus nicht, werde ich im Regenwasser ertrinken.
Dann höre ich ein lautes Krachen.

Das Dach wird aufgerissen und junge, durchnäßte Soldaten reichen mir die Hand.

Schmutziges Wasser läuft bereits in meinen Mund, und sofort greife ich hustend die helfenden Hände, die mich nach oben ziehen, in einen großen, lauten Hubschrauber. Dort erwarten mich Decken, heißer Tee und die aufmunternde Worte der tapferen Recken in Uniform.

Nun bin ich froh, das sie da sind, die Soldaten.

Sie fliegen mich zu einem neuen Haus, das noch größer ist und schön breite Wände hat.

Das neue Haus ist toll.

Man kann den Regen fast nicht mehr hören.

Die Fenster sind doppelt verglast.

Gut!
Erschöpft setze ich mich an einen Tisch und schlürfe meinen heißen Tee.

Ich werde ihn hier schnell vergessen, da bin ich sicher.

Mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Das ist Ziel der meisten Menschen heute, auch wenn sie damit ihre subjektive Teilrealität meinen. Doch lassen wir ruhig die Zwischenwelt für die Ethik erst einmal außer Acht und befassen uns eben gerade mit diesen Teilrealitäten.

Auf dieser Welt leben verschiedenste Gesellschaften, und wir gehören zu der Gesellschaft der Europäer des industriellen Westens. Wir sind verhältnismäßig reich, kennen nur noch das Leben innerhalb einer ausgezeichneten Infrastruktur und tauschen unsere Informationen über erstklassige Medien aus.

Nun haben wir mit unserer Lebensweise, die sich fast ausschließlich auf das Konsumieren konzentriert, einigen Flurschaden auf diesem Erdball angerichtet, der uns unser Puppenhausleben etwas düsterer erscheinen läßt. Wir ziehen uns immer weiter zurück, geben uns larmoyant, sind allerdings kaum imstande, unser grenzenloses und zerstörerische Konsumieren allgemein verträglicher zu organisieren. Um es auf den Nenner zu bringen, wir sind dumm und müssen eben nun den Preis für unsere Dummheit tragen. Eigentlich wäre das eine runde Sache, gäbe es da nicht die anderen Gesellschaften, die ihre Dummheit, sofern sie diese überhaupt besitzen, ausleben durften, weil wir ihnen schon frühzeitig die Möglichkeiten entwendet hatten.

Diese Gesellschaften sind nun, wie durch ein ungerechtes Naturgesetz dazu verdammt, die Hauptlast unserer Schäden zu tragen. Da passiert in dem Sinne, daß sie dort leben, wo die Umwelt am konsequentesten ihren Tribut fordert, oder eben weil wir sie nicht mehr unterstützen können, da wir unsere Mittel nun selbst benötigen. So bauen wir uns einfach eine neue, höhere und sicherere Burg, um in der ehemals gewohnten Ruhe weiter in einer beängstigenden Dekadenz konsumieren zu können. Doch die anderen müssen eben draußen bleiben. Und ein Gutes hat aus unserer Sicht die höhere Konsumburg aber noch. Wir sehen die anderen Gesellschaften, die draußen bleiben müssen, nicht mehr so gut und hören ihr Klagen nicht mehr so genau.

Aus der Sicht eines schlafenden Menschen mag bei dem Lesen meiner Ausführungen das Bewußtsein aufkommen, daß da eine unwahrscheinliche Ungerechtigkeit im Gange ist, die man bremsen muß.

Doch aus dem Blickwinkel eines anderen Bewußtseins, begreift man schnell, daß diese Situation sich völlig anders darstellt.

Die augenscheinlich ungerechten westlichen Gesellschaften sind eigentlich zu bemitleiden. Sie entwickeln sich auf einen Abgrund zu, in den sie sicherlich etliche andere Menschen mit hineinreißen werden. Doch werden sie tiefer fallen und härter getroffen, als alle anderen Gesellschaften. Ein Überleben nach dem Fall wird für sie fast völlig unmöglich. Ihre intellektuelle Entwicklung ist von den dem Virus der ausschließlichen Befriedigung aller nur erdenklichen Bedürfnisse befallen und wird ihm die Möglichkeit nehmen, in extremen Situationen überleben zu können. Die westlichen Gesellschaften sind auf dem Weg ihre dominierende Rolle zu verlieren und dem augenscheinlichen Atavismus zu verfallen, auch wenn dieses heute noch von vielen Denkern der westlichen Welt als unwahrscheinlich empfunden wird.

Auf diesem Weg zu den Wurzeln des menschlichen Seins, werden sich die Gesellschaften dieser Welt auf einer Ebene treffen, und es wird zu einem Erfahrungsaustausch auf einer völlig neuen Ebene kommen, bei dem nur noch die den Menschen am sinnvollsten erscheinenden Erfahrungen, die positive Quintessenz der Zivilisation, bewahrt und kultiviert wird.

Das wird so geschehen, doch ich enthalte mich hier, in meiner Funktion und Verantwortung als sehender Narr, über die Geschwindigkeit und das quantitative Ausmaß dieses Prozesses Auskunft zu geben.

Über einige Jahre hinweg, habe ich folgende Zeilen im Internet vielen Menschen zum Lesen und Nachdenken angeboten. Die meisten Menschen haben den wahren Sinn dieser Worte nicht verstanden, obwohl sie doch so offensichtlich sind. Es sind Worte, die sie selbst betreffen und einholen werden, schneller, als sie es glauben. Und doch sehen sie ihre Bedeutung einfach nicht. So sehr sind sie mit ihrem Schlaf beschäftigt. Und wieder habe ich mich dazu entschlossen, sie auch hier noch einmal aufzuschreiben.

Es ist sehr heiß heute.
Der Schatten tut mir gut.
Ich sitze oft hier, unter diesem alten Baum.
Der Stamm ist eine perfekte Lehne.
Im Sommer spendet er Schatten.
Bei Regen ist er ein schützender Schirm.
Im Herbst spendet sein Laub mir Wärme.
Seine Blätter rauschen im Wind.
Das ist sehr schön, so beruhigend.
Die Rinde duftet immer angenehm.
Alles in allem, er ist eine Wohltat für mich.
Nun sitze ich auch heute hier.
Ich träume vor mich hin.
Gerne bin ich alleine.
Die Bienen summen, ein Vogel raschelt.
In der Ferne höre ich Stimmen, Kinder.
Sie spielen wohl im Wald.
Das habe ich früher auch gerne getan.
Doch heute, heute bin ich alt.

Erst war das Leben zu lang.
Heute ist das Leben zu kurz.
Ändern kann man nichts mehr.
Wo ist da der Sinn?
Sie setzen mich jeden Tag hier an den Baum.
Sie wollen ihre Ruhe haben.
Alte Menschen sind belastend.
Aber das ist schon in Ordnung.
Ich setze gerne hier.
An das Wetter habe ich mich gewöhnt.
Vielleicht bin ich auch schon zu alt.
Ich meine zu alt, um zu frieren.
Nur die Nässe ist nicht schön.
Für meine Knochen, meine ich.
Aber was soll es.
Laufen kann ich ohnehin nicht mehr.
Das ist vorbei, seit den Ratten.
Früher hatten wir hier viele Ratten.
Doch heute sind sie verschwunden.
Sie sind alle tot, ausgerottet.

Geschieht ihnen ganz recht.
Warum haben sie es auch getan.
Meine Füße gehören mir.
Die darf niemand anfressen.
Nun habe ich meine Ruhe.
Ruhe im Alter tut gut.
So habe ich meinen Baum.
So einen Baum hat nicht jeder.
Hier möchte ich eingegraben werden.
Ich meine, wenn ich tot bin.
Es ist so schön hier.
Hoffentlich bin ich bald tot.
Dann ist mir das Wetter auch egal.
Gestern haben sie mich vergessen.
Es war Nacht, und keiner kam.
So saß ich hier, die ganze Nacht.
Schlafen konnte ich nicht.
So war ich wach, als sie kamen.
Erst waren sie blaß.
Dann haben wir gelacht.

Es tat zwar weh, in der Brust.
Aber gelacht haben wir dennoch.
Bald ist es wohl soweit.
Wir spüren es jeden Tag.
Mein Baum und ich.

Auch wenn es sich wie eine groteske Kurzgeschichte liest, so kann ich mit Bestimmtheit garantieren, daß es so kommen wird.

Wir werden bald erkennen, daß es mit unseren Alten nicht mehr so weitergehen kann, wie bisher. Die Erkenntnis ist heute bereits da, und wir diskutieren bereits im Augenblick darüber, ihnen die Gelder zu kürzen. Sie werden mehr und mehr zu einer Belastung für uns, und wir werden sie zwar beachten, weil sie unsere Eltern sind, aber sie im Alltag dann doch vergessen. Wir haben nicht die Zeit und den Willen mehr für sie da sein zu wollen, da unsere Umwelt und die Informationsgesellschaft uns zu sehr vereinnahmt.

Zuerst wird es sehr viele alte Menschen geben, die wir nicht mehr versorgen können, und nachher, da haben wir unsere Einstellung ihnen gegenüber völlig verändert. Doch werden es nicht wir sein, die ihre Einstellung verändert haben, sondern unsere Kinder, Enkel und Urenkel, und wir werden die Alten sein, die am Baum sitzen und vergessen werden. Und wir werden es selbst sein, die vergessen haben, wie man auch im Alter zufrieden leben kann, ohne diesen ganzen grenzenlosen Wahn von Geschwindigkeit, Leistung und Informationsflut. Der Baum und ich, wir bleiben am Ende übrig.

Wir im Westen, wir leben in einer Welt, in der das Leiden sich mehr und mehr hinter verschlossenen Türen abspielt, weil es die anderen Menschen, außerhalb der Türen, in ihrem maßlosen Konsumwahn und ihrem Verlangen nach einem unbeschwerten Leben nach Plan eventuell stören könnte. Und stört es sie erst einmal, dann helfen sie nicht, stehen dann auch nicht bei, sondern wenden sich angewidert ab und tun so, als übersehen sie diesen gesellschaftlichen Makel einfach.

Erst wenn es für sie ein Signal gibt, daß man in diesem Fall Mitleid auch erfolgsversprechend konsumieren kann, verfallen sie ihm hoffnungslos und geben sich einer Mitleidsorgie hin, die den armen Betroffenen fast erdrückt. Ist dann aber nichts mehr zu konsumieren, vielleicht die Mitleidsschraube überdreht, so wenden sie sich wieder angewidert ab und alles kehrt zum alten Zustand zurück. Etliche Fernsehsendungen und Shows, in denen man Hilfe für seine Mitmenschen anreizt und organisiert, demonstrieren dieses System recht gut, und wenn man ein wenig die Hilfsprozesse weiterverfolgt, also auch hinter die Kulissen blickt und auch über einen längeren Zeitraum hinweg, dann wird einem erst richtig bewußt, wie kalt und brutal dieses System überhaupt ist. Nach dem Fallenlassen leiden die Opfer meistens mehr, als vor der Hilfsaktion. Doch nur wenige haben das Pech, auf das Mitleid der breiten Masse zu stoßen. Die meisten verbergen sich mit ihrem Leid hinter verschlossenen Türen und stehen damit völlig alleine da. Oftmals sehen sie nur noch den Freitod als Lösung ihres Leidens an, ohne sich darüber bewußt zu sein, daß es immer eine Lösung für ihre meistens körperlich materiellen Probleme gibt, sei es auch nur in dem Erwachen und der immer damit verbundenen Bewußtseinserweiterung. Die Verwendung des „nur“ ist dabei recht keck von mir eingesetzt worden, da gerade diese Lösung eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Alternativen zum bisherigen Leben eröffnet, die man vorher nicht sehen konnte. Es gibt eigentlich keine Situation und kein Problem, das völlig ausweglos und sinnlos ist. Wir können nur die Lösung nicht sehen oder erfassen, und daher erscheinen sie uns lediglich ausweglos. Kommt der betroffene Mensch nicht selbst auf die Lösung, so sollte er nicht die breite Masse an Schläfern aufsuchen, sondern Menschen, von denen er vermutet, daß sie ein wesentlich erweitertes Bewußtsein und damit in einer erweiterte subjektive Teilrealität leben. Das muß kein Mensch sein, der alle Attribute eines Narren ausweist, sondern es würden einfach Menschen ausreichen, die über ihre Eigenschaften kreativ, sensibel und phantasievoll zu sein, nach neuen Wegen für das Leben suchen. Also es genügen Menschen, die das Potential haben, erwachen zu können, meistens einfach schon aus.

Da ich gerne Geschichten sammle und aufschreibe, habe ich auch dazu eine interessante Geschichte, die gut in unsere Zeit hineinpaßt und auf eine recht deftige Art und Weise auf das Leiden hinter der verschlossenen Tür weist, die oftmals nur wenige Meter von unseren eigenen Tür zu finden ist.

Oft stehe ich am Fenster und blicke hinaus.

Die Wolken hängen grau und hoch über den Dächern.
Die Straßen sind feucht und dunkel von dem Regen der letzten Nacht.

Ein paar Sperlinge hüpfen emsig umher, immer bereit ein paar Brotkrümmel und Gräsersamen zu picken.

Überall auf den Straßen laufen Menschen herum. Sie sind ganz klein und sehen fast aus, wie bunte Ameisen. Alle haben sie, nun eben jeder für sich, ein ganz spezielles Ziel, das sie hektisch erreichen wollen und stört sie etwas dabei, werden sie rasch ungehalten und unwirsch.

Hoch über ihren Köpfen fliegen einige Tauben von Dach zu Dach.
Eine alte Krähe sucht nach Reisig in der Dachrinne.

Weit über ihrer Reisigsuche fliegt einer dieser lauten Hubschrauber der hiesigen Straßenwacht seine Runden.

Ein entferntes Grollen lockt schließlich mein Interesse, und mein Blick fällt auf ein ganz winzig aussehendes Flugzeug, das knapp unter den dunklen Wolken ein fernes Ziel anfliegt.
Es fängt wieder an zu regnen.

Die kleinen, ganz klaren Tropfen huschen an meinem Fenster vorbei.
Einige von ihnen landen auf der eben noch trockenen Scheibe, andere fallen, weit unter meinem Fenster, auf die Straße.
Diese kleinen Tröpfchen haben einen richtig weiten Weg hinter sich, vorbei an dem Flugzeug, an dem Hubschrauber, dann an den Tauben auf dem Dach und der alten Krähe an der Rinne und schließlich vorbei an meinem Fenster, den Menschen auf der Straße, bis sie endlich derbe auf dem Boden gestoppt werden, um sich dort sofort mit den vielen anderen Tropfen zu vereinigen.

Ich drehe mich vom Fenster weg.

Es ist noch früh.

Der Raum ist leer, und es ist ruhig.

Diese Ruhe ist mir bis jetzt noch nie aufgefallen.

Sie ist mir unangenehm.

So lege ich mich auf die alte Couch und starre zur Decke.
Wertlos bin ich.

Sie wollen mich nicht mehr haben.

Ich sage eben immer, was ich denke, und das mögen sie nicht.
Zwar sagen sie stets, daß sie es gut finden, aber insgeheim hassen sie es. Nach dem Loben kommen dann die Aufgaben, die man nicht erfüllen kann. Man kämpft, will gut sein. Dennoch verliert man immer. Man wird krank, man versagt, oder man macht tödliche Fehler, und das war es dann. Aus.
Das war schon immer so und wird auch weiterhin so sein.
Ich stehe auf und gehe zum Schrank, um mir einen Weinbrand zu gönnen. So ein extra alter Tropfen wartet darauf, sich mit mir anzufreunden.

Er schmeckt schön und ist ein Freund in dieser schrecklichen Stille.
Guter, alter Freund.

Nach der halben Flasche fühle ich mich schlecht.

Eine halbe Flasche weiter, fühle ich fast nichts mehr.

Das ist gut so.

Diese Stille nicht mehr zu fühlen, das ist einfach besser.

Ich gehe auf den Balkon und werfe die Flasche hinunter.
Mir ist alles egal.

Das Leben ist für mich vorbei. Von mir will keiner mehr etwas.
Mein Haltbarkeitsdatum ist sozusagen überschritten.

Ich mache Schluß.

Einfach knipse ich die Lampe aus.

Ohne weiter darüber nachzudenken, lehne ich mich über die Balkonbrüstung.
Dann verliere ich den Halt und stürze in eine bodenlose Tiefe.
Augenblicke später ein dumpfer Aufschlag.

Dann, mit einem Mal, überflutet ein wahnsinniger Schmerz meinen gesamten Körper.

Atemlosigkeit.

Ich höre mich schreien, winde mich.

Die Qualen sind unbeschreiblich.

Immer wieder branden wahnsinnige Schmerzen durch meinen Körper.
Dann ist überall nur Schwärze.

Mein Herz pumpt und pumpt, ich spüre es deutlich.

Das ist unwirklich, so unangenehm.

Mir wird übel.

Dann plötzlich greift etwas nach mir.

Es greift mir direkt an die Kehle und reißt mich heftig herum.

Ich heule auf.

Kalte Augen blicken mich an.

Speichel läuft über schwarze Lefzen.

Dann ein weiterer heftiger Ruck.

Es wird augenblicklich blendend hell.

Ich sehe einen Mann in weißen Sachen.

Überall ist Blut.

Dann wieder durchschneidet der unbeschreibliche Schmerz die rätselhafte Betäubung.

Ich höre Schreie.

Es sind meine Schreie.

Dann Schreie von dem weißen Mann.

Meine Beine spüre ich nicht mehr.

Dann, ein ganz neuer Schmerz in der Brust.

Ich stöhne.

Dann erneut dieser heftige Ruck.

Wieder sehe ich in diese unbegreiflich kalten Augen und spüre, wie sich die dicken Krallen einer tierischen, bestialischen Hand um meinen Hals legen.

Diese Kreatur schleudert mich über den Boden.

Die mehr und mehr schemenhaften Bilder vor meinen Augen beginnen zu flimmern.

Dann macht das Wesen einen riesigen Satz auf mich zu und brüllt mir seinen widerlich stinkenden Atem in das blutige Gesicht.
Es kennt kein Mitleid, kein Erbarmen.

Niemals zuvor habe ich eine solche Kälte gespürt.

Dann zieht ein erneuter, heftiger Ruck mich in die Helligkeit zurück.
Ich schreie entsetzt meinen Schmerz heraus.

Der weiße Mann ist noch immer da.

Seine Handschuhe sind rot verschmiert.

Eine alte Frau steht neben ihm.

Ich kann sie genau sehen.

Doch er scheint sie nicht zu bemerken.

Sie lächelt mich an.

Da, sie lächelt tatsächlich.

Mir wird wieder übel.

Sie greift plötzlich nach meinem Fuß.

Ich erwarte Schmerzen.

Sie faßt nach mir, meinem Fuß, ich kann es spüren.
In diesem Augenblicklich ist der Schmerz völlig verschwunden.
Ein seltsames, sehr kräftiges Gefühl steigt in mir auf.

Keine Verzweiflung und keinerlei Schmerz ist mehr zu spüren.
Alles um mich herum ist irgendwie unwirklich.

Dann wird es mir plötzlich so bewußt, wie schon seit Langem nicht mehr: Ich will leben.

Ich will auf einem Mal so gerne leben, so gerne, wie es noch niemals zuvor wollte.

Dann höre ich wieder den weißen Mann herumschreien.
Er schreit zu einem anderen Mann, daß sie mich verlieren würden.
Das kann nicht sein.

Nicht jetzt, ich will doch leben.

Flehend sehe ich die seltsame Frau an.

Doch sie lächelt nur.

Sie wirkt unbeteiligt und ganz ruhig.

Der weiße Mann wird hektisch und reißt an mir herum.
Hemdknöpfe springen ab.

Ich darf nicht sterben.

Es ist falsch jetzt zu sterben.

Jetzt weiß ich es, endlich weiß ich es.

Es war ein Fehler, eine Fehleinschätzung von mir.

Sterben und Leben, es gibt keinen Unterschied.

Das Leben ist kein Verlust, es ist nie ein Verlust.

Selbst wenn es keinen Sinn zu haben scheint.

Es ist kein Verlust.

Dann wirft sich der weiße Mann mit nahezu seinem ganzen Gewicht auf mich.

Er preßt immer wieder meine Rippen zusammen.

Doch ich spüre es fast nicht.

Da ist nur noch die seltsame Frau vor meinen Augen.
Sie ist so friedlich.

Ihr scheint es egal zu sein, ob ich sterbe, oder nicht.
Es ist kein Verlust zu sterben.

Es ist kein Verlust zu leben.

Es gibt keinen Grund zur Unruhe.

Nein, ich will das nicht.

Ich will leben.

Die Frau löst ihre Hand von meinem Bein und wendet sich ab.
Sie darf nicht gehen. Sie darf mich nicht aufgeben.
Ich nehme alle meine Kraft zusammen und ein lauter Schrei durchbricht diese seltsame Betäubung.

Es ist mein Schrei.

Der weiße Mann wird zurückgeworfen.

Er blickt mich entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen an.
Unglaubliche Schmerzen hämmern sofort wieder ungebremst auf mich ein.

Verzweifelt versuche ich aufzustehen.

Doch viele Knochen sind gebrochen.

Überall ist Blut.

Ich ziehe mich stöhnend an dem Busch hoch, der mich und mein Leben aufgefangen hatte.

Der weiße Mann hat sich inzwischen wieder gefaßt und springt hektisch auf mich zu.

Ich werfe ihn zurück und schreie vor Schmerzen.
Meine Blick wandert langsam hoch, zum grauen Himmel hinauf.
Es überkommt mich ein starker Schwindel.

Ich stürze augenblicklich in eine bodenlose Schwärze.
Nichts.

Ein leises Piepen weckt mich.

Ich kann mich nicht bewegen.

Überall sind Schläuche, stehen Geräte und hängen Tropfe.
Ich habe überlebt.

Wieder falle ich in Ohnmacht.

In den folgenden Monaten genese ich ganz gut.

Ich habe noch heftige Schmerzen, was mir jedoch inzwischen fast völlig egal ist.

Verändert habe ich mich.

Ein unbeschreiblicher, fast sogar magischer Lebenswille hat mich besetzt.

Es scheint beinahe, als würde es keine Probleme mehr für mich geben. Probleme gehören einfach nicht mehr zu meinem Weltbild.

Sie sind aus meinem Kopf gelöscht worden.

Die Meinung der anderen Menschen ist mir egal.

Kurz vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, habe ich ein Schreiben von einer kleinen Firma bekommen, die Mülleimer herstellt. Sie haben meine Bewerbung gelesen und mir eine Einladung geschickt.

Als ich schließlich nicht geantwortet habe, versuchten sie mich auf anderen Wegen zu erreichen und haben dabei auch von meinem Unfall gehört. Sie wollen mich noch immer einstellen, wenn ich wieder fit bin.

Zwar verdiene ich dort lange nicht so viel Geld, wie bei meiner alten Firma, aber das ist mir egal. Es ist belanglos. Ich will möglichst nie wieder solche abartigen Schmerzen spüren oder diesem schrecklichen Wesen begegnen. Dieses Wesen hatte nicht die geringsten Gefühle, es war eiskalt und kannte keinerlei Erbarmen. Nie werde ich diese Augen vergessen.
Sie waren nicht böse, sie waren nicht gut, nein, sie waren völlig ohne jeden Ausdruck. Grauenhaft.

Fast war es zu spät für mich gewesen.

Ich hatte wohl Glück.

Diese Geschichte kann wahr sein, oder aber auch nicht. Doch beim Lesen weiß man, daß es völlig unerheblich ist, ob sie wahr, oder falsch ist. Sie beschreibt, was ist, und sie macht deutlich, das Selbstmord fast immer sehr schmerzhaft ist, was gerne immer wieder vergessen wird.

Doch in dem Augenblick des größten Schmerzes haben wir oftmals die Augen weit geöffnet, den Schlaf abgestreift und sehen die Zwischenwelt, auch wenn wir sie dann noch nicht deuten können. Doch sie ist dann ein Teil unseres Bewußtseins und verändert augenblicklich die absurdesten Fehleinstellungen der subjektiven Teilrealiät. So spielen in diesen Extremsituationen fast immer mehrere Elemente der Zwischenwelt eine große Rolle und überfluten unser Gehirn, ohne das es darauf eingestellt ist. So kommt es zu diesen seltsamen Wahrnehmungen, die tatsächlich sind, einwirken, aber wohl vom Gehirn völlig fehlinterpretiert werden.

Der Effekt ist jedoch verblüffend, da man die Eindrücke behält, manchmal auch erwacht bleibt und nicht wieder in den Tiefschlaf zurückfällt und sogar ein völlig anderes, sinnvolleres Leben führt.

Doch es kann schon möglich sein, daß man in der Zwischenwelt einem derartiges Ungetüm begegnet, weil wir in unseren Köpfen, verursacht durch einen für uns nicht eindeutig definierbaren, zwischenweltlichen Reiz, so ein Monster einfach sehen wollen und es dadurch für uns bewußt auch als vorhanden wahrgenommen wird.

Allerdings sind solche Reize in der Regel nicht gefährlich und haben ganz banale Ursachen. Nur unser sehr begrenzt leistungsfähiges Gehirn kann, in dem Augenblick des Auftretens des Reizes, den Reiz selbst nicht in seinem originalen Sinn interpretieren. So verbindet er den Reiz mit etwas Bedrohlichem und sucht nach einem Restbild im Unterbewußtsein. Hat er ein Restbild gefunden, so wird das Gehirn des Menschen versuchen, dieses Restbild mit greifbaren, vorhandenen Bildern seiner subjektiven Teilrealiät zu rekonstruieren.

Es kommt also immer darauf an, welche grundlegenden Ausgangsinformationen dem Gehirn zur Verfügung stehen. So kann es sein, daß bei einer schlechten Ausgangsinformation, bizarre Bilder assoziiert und wahrgenommen werden.

Das findet man auch in der subjektiven Teilrealität sehr oft und ist an sich nichts Besonderes. Wenn wir uns beispielsweise im Halbdunkeln durch einen Wald bewegen, sehen wir oftmals in den vielen unförmigen Schatten um uns herum, bizarre Kreaturen, Ungetüme und Gespenster.

Unser Gehirn verarbeitet in dieser Situation die ihm, über unsere Sinne erbrachten Informationen, zusammen mit unserem Gefühl der akuten Unsicherheit und der erhöhten, instinktiven Aufmerksamkeit, zu einer Wahrnehmung, die uns in diesem Augenblick am rationalsten erscheint. Es werden Schutz- und Fluchtreaktionen ausgelöst.

Ähnlich verhält es sich bei derartigen Überreizungen aus der Zwischenwelt. Wir sehen letztlich nur das, was wir insgeheim sehen wollen, um die beste Sicherheit und Stabilität für uns zu erhalten.

Wir leben in einer Welt voller Menschen, in der jeder für sich, sein eigenes subjektives Bewußtsein und seine persönliche Realität lebt. Manche Menschen führen ein erweitertes, sehr sinnvolles Leben, andere ziehen lieber ein eher sinnarmes, übersichtlicheres Leben vor.

Bereits in diesen Wörtern sinnvoll, sinnarm, sinnlos und einen Sinn ergeben, liegen prinzipiell schon die Grundlagen für eine narrenphilosophische Welt, deren Existenz für uns Menschen auf dem erweiterten Bewußtsein, der elementaren Sinnfähigkeit und Verarbeitung von Reizen beruht.

Zwar erscheint es uns vielmehr als eine Art lustiges Wortspiel, doch die Wörter sind relevante Träger unserer Informationen in der Kommunikation und nehmen daher auch eine kardinale Position in der Prägung unseres individuellen Weltbildes ein.

Die Wörter unserer Sprachen haben mehr Macht auf uns und Aussagekraft, als wir es oftmals bewußt wahrhaben möchten. So bezeichne ich die Philosophie des Narren als absolut sinnvoll und meine Ausführungen in diesem Buch bestätigen die sinnvolle Ausrichtung der närrischen Wege zur Erweiterung des menschlichen Bewußtseins. Somit ergeben die äußerst sinnlichen Erfahrungen aus der Zwischenwelt, die umwerfenden Emotionen bei der Berührung mit dem Jenseits und die lebensverändernden Erfahrungen aus der Zukunft durchaus sehr viel Sinn.

Doch wir tabuisieren diese wichtigen Erfahrungen in die geheime Esoterik hinein und verlassen uns immer mehr auf die eher weniger sinnlichen, exoterischen Bereiche unseres Lebens.

Dabei ist es durchaus unser aller Ziel, daß unser Handeln und unsere Entscheidungen stets einen nachvollziehbaren Sinn ergeben. Doch was genau tun wir dafür?

Wir mobben kreative, sensible und phantasievolle Menschen am Arbeitsplatz, belächeln nahezu alle esoterische Überlegungen, degradieren die phantastische Literatur in den Bereich der Trivialliteratur und haben tiefsitzende Skrupel filmische Meisterleistungen aus den Bereichen der Phantasie mit einem Oskar zu würdigen, da allen diesen Themen wohl angeblich der Realitätsbezug fehlt.

Doch genau das fehlt diesen Werke definitiv eben nicht. Sie lösen bei uns Emotionen aus und reizen uns zu grenzenlosen Überlegungen. Ohne diese freie Form von Träumen wird der Mensch zu einer bemitleidenswerten, sinnarmen Kreatur und ohne einer entsprechenden Sensibilität wird er in meinen Augen zu einer skrupellosen Bestie, bei der nur noch das Interesse an der eigenen, materiellen Welt zählen wird. Ohne eine gewisse Sensibilität erlischt die Fähigkeit zur Phantasie, und Phantasie kann niemals sinnlos sein. Doch ohne Phantasie gibt es widerum keine Kreativität.

Dadurch definiert sich der grundlegende Schlüssel zum Narrentum. Der Narr fühlt sich in der sinnarmen und materiell orientierten Welt fehlplatziert, unverstanden und diskriminiert. Er kann sich in keinster Weise derartig selbstverwirklichen, wie es zum Erhalt seiner seelischen und körperlichen Gesundheit notwendig wäre. Dadurch lebt er in einer Art spirituellen Untergrund, schließt sich aus und zieht es in der Regel vor, die Gesellschaft der Schläfer grundlegend sich selbst zu überlassen, um sich besonders auch selbst nicht vorschnell in Gefahr zu begeben.

Nur selten greift er offen in seiner Funktion des Narren in das

Geschehen der schlafenden Gesellschaft ein und zieht es dann vor, bei Bedarf und dann nur mit größter Vorsicht und zudem im Verborgenen, über die Elemente der Zwischenwelt manipulativ einzuwirken. Einem Schläfer ist es daher völlig unmöglich, diese Manipulation korrekt zuzuordnen, da er die Aspekte der Zwischenwelt nicht erfassen kann und generell auch nicht will. So macht sich der Narr die Schwächen der schlafenden Gesellschaft zunutze, um sinnvoll überleben zu können. Er lebt in einer besonderen Art von Symbiose mit den schlafenden Menschen. Ich vermute sogar ganz dreist, daß es da nicht nur den menschlichen Narren gibt, der diesen Umstand für sich ausnutzt, um überleben zu können, sondern ich vermute sehr stark, daß der schlafende Mensch bereits seit Jahrtausenden auf diese Weise von Wesenheiten ausgenutzt wird, die jenseits seiner stark beschränkten Wahrnehmungsfähigkeiten liegen. Jemand der sich über eine längere Zeit mit der Zwischenwelt beschäftigt hat und sie sich auch bewußt machen kann, hat fast immer eine Reihe von Seltsamheiten zu berichten, die ihm aufgefallen sind und die diese Theorie untermauern. Doch dazu müßte man ihm erst einmal richtig zuhören.

So ist die materiell orientierte Welt dem Narren ein Graus, und er findet sich in ihr nur sehr schwer zurecht, da wirklich alles das, worauf sich die schlafende Menschheit konzentriert, für ihn nebensächlich und belanglos ist.

In Krisen und Kriegen sieht er nicht die Zerstörung von Bauwerken und Kulturgütern, sieht nicht die Beleidigungen und Beschimpfungen der Menschen untereinander, sondern er sieht nur eine gewaltige Explosion an Gefühlen und Leiden, ein Heer schwarzer Schatten, die sich überall auf der Welt verteilen, und er sieht den völligen Verlust der Sinnesvielfalt in den Lagern der Kriegstreibern, die sich in diesen sinnkritischen Phasen nur noch den sie leitenden Emotionen Hass, Rachsucht und Wut hingegeben. Plakativ ausgedrückt schließen sie somit ihr eigenes Bewußtsein und ihre dazugehörige subjektive Teilrealität in eine enge, dunkle Kiste, die sie nur wieder öffnen können, wenn sie wieder bereit dazu sind, andere Emotionen zuzulassen. Dann wird ihr Leben wieder sinnvoller und alternativenreicher. Darin liegt auch der Schlüssel der Deeskalisierung von Krisensituationen verborgen. Alternativen erfordern Kreativität.

Bei einer solchen Auseinandersetzung ist es leider aber vielmehr so, daß die sinnlich beschränkten Potentaten erst darum werben und dann in Folge sogar mit Gewalt andere Menschen dazu zwingen, mit in ihre finstere Kiste zu steigen. In einer geradezu gefühllosen und ekzessiven Befriedigung von Bedürfnissen geben sie sich den wenigen, in der Box verbleibenden Emotionen hin. Dadurch geht ihnen die Objektivität für die subjektiven Teilrealitäten der unschuldigen und sinnlich unbeteiligten Opfern einer solchen sehr einseitigen Auseinandersetzung schnell verloren, und es fällt ihnen immer schwerer, die Erinnerung an die Außenwelt ihrer engen Box, also ihr ehemaliges, subjektives Teilbewußtsein, zu bewahren. So erscheinen sie mehr und mehr den Menschen außerhalb ihrer Box als weltfremd, verstört und dem Wahnsinn nahe. Doch damit sind wir sofort wieder an der

Etymologie des Wortes „Wahnsinn“, das seine Ursprung in dem mittelhochdeutschen Wort „wan“ im Sinne von „leer“ und dem Wort „sinn“, das wohl vom altdeutschen Wort „sin“, für Weg oder Reise, kommt, was dann zusammen den Begriff der Weg- oder Ziellosigkeit beschreiben dürfte. Wir stellen demnach fest, daß wir uns mit dem Begriff „Wahnsinn“, also genau dort befinden, wo die Philosophie des Narren einen derartigen Potentaten und mit seinem kreativlosen Gefolge gerne ansiedelt, nämlich in einem engen, ausweglosen Raum mit den Rücken an die Wand gedrückt.

Sinne sind demzufolge sogar etymologisch gesehen, Wege oder auch Reisemöglichkeiten für die Erweiterung der menschlichen subjektiven Teilrealität und des Bewußtseins.

Betrachtet man sich jedoch die esoterische Figur des Narren genauer, so kann durchaus schnell der Fall eintreten, daß man ihn plötzlich für egozentrisch und nahezu selbstverliebt hält. Er wendet sich von der Menschheit weitgehenst ab, und sie interessiert ihn eigentlich auch nicht sonderlich. Dazu spricht er von den meisten seiner Mitmenschen sogar als Schläfer und sieht sich jedoch selbst, als den erwachten Menschen mit erweitertem Bewußtsein, was ihn in einer gewissen Weise, als elitär erscheinen läßt und damit fast in die Nähe von H. Blavatskys Wurzelrassen-Gedanken schleift. Aber diese Annahme ist grundsätzlich falsch.

Der Narr nimmt durch seine Individualität in der Wahrnehmung und in seinem Denken tatsächlich eine gesonderte Rolle ein, mag zwar auch spirituell wesentlich weiter entwickelt sein, als viele seiner Mitmenschen, ist allerdings von seinem ganzen Wesen her, nicht elitären Charakters, da er jedem Menschen die Möglichkeit zuschreibt, ein Narr werden zu können, wäre der Mensch doch endlich bereit dazu, diesen Wunsch zu entwickeln.

Trotz seiner definitv leicht abgesonderten Rolle, gibt sich der Narr in seiner Umwelt als eine Art Scheinschläfer aus und bemüht sich sogar, auch schon zu seinem eigenen Schutz, so wenig wie möglich inkonform auf den Zustand der Schläfer einzuwirken, in denen er jederzeit eine Bedrohung für seine Entwicklung sieht.

Man kann die Philosophie des Narren nicht lehren, man kann nur Türen öffnen. Ein Narr zu sein ist daher eine gelebte Lebensphilosophie, die spirituelle Früchte trägt, Früchte, die sich widerum in die materielle Welt der Schläfer durchsetzen können.

Das Leben ist weder kurz noch lang. Das Leben ist, wie alles andere auch, nur ein Zustand, der sich auf eine bizarren und geniale Weise verändert. Die Veränderung ist für uns nur rational faßbar, wenn wir die Zeit denken können. Eine Veränderung ohne Zeit ist für uns unvorstellbar.

Wenn wir also einmal ganz still verharren, die Fenster sind geschlossen, und alle Geräte sind ausgeschaltet, dann lehnt Euch zurück und schließt einfach einmal die Augen.

Wenn Ihr dann ganz aufmerksam lauscht, kaum wagt zu atmen, dann könnt ihr es bestimmt hören.

Es ist jenes leise Rauschen, mehr ein Wispern, ein Raunen, das nie verstummt und immer da ist.

Es ist schroff und doch irgendwie ganz zart.

Ein Geräusch der Angst und doch so unendlich vertraut. Wie der Hauch vor einem Kuß, aber auch ebenso, wie der schneidende Wind einer eisigen Tundra.

Ihr werdet schon wissen, was es ist, was Euch in seinen Bann zieht, Euch umfließt und fesselt.

Ja, es ist die Zeit, jenes maßlose Element, das durch Eure Finger rinnt, wie ganz feiner Dünensand, und welches wabert, gleich heißer Luft über der glühenden Steppe. Es geht einher mit dem Zirpen der Grillen, das Euch erscheinen mag, wie der eigene Atem, als nicht zu verkennendes Symbol unserer aller Vergänglichkeit.

So stellt die Zeit einen grundlegenden Pfeiler unserer psychischen Stabilität dar. Doch auf gleiche Weise schränkt sie uns auch ein, da wir beispielsweise nur etwas als unser Leben erfassen, was sich innerhalb unserer zeitlichen Dimension bewegt. Das ist ein fataler Fehler, da die Zeit nur ein von uns empfundenes und in Maßeinheiten gefaßtes Element der Gesamtheit ist und daher die Gesamtheit vielleicht dominieren, aber nicht definieren sollte. Damit meine ich, daß wir unsere menschliche Zeit inzwischen als eine Art Selbstverständlichkeit betrachten, nur weil wir meinen, sie messen zu können.

Wie dem auch sei, so die von uns meßbare Zeit etwas ganz anderes, als die von uns subjektiv empfundene Zeit. Die von uns meßbare Zeit greift zwar augenscheinlich in einer materiell empfundenen Welt, versagt aber hoffnungslos in der eigentlichen, unserer spirituellen Welt. So empfindet jeder Mensch sein Leben verschieden lang, was durchaus auch an der Art der Lebensführung liegen mag. Doch ist es dem Menschen durchaus möglich, in wenigen, materiellen Minuten ein ganzes Leben in seinem Geiste zu durchträumen. Emotional erscheint ihm dieser Traum, oder auch eine Vision, als völlig real und sehr, sehr lang, und erwacht er aus diesem spirituellen Leben, so nimmt er meistens die Erfahrungen daraus mit, in seine subjektive Teilrealiät. So kann man schnell zu der Überlegung gelangen, daß man sich die Frage stellt, was nun eigentlich real ist und was ein Traum. Ist vielleicht die ganze subjektive Teilrealiät, die uns als unser Bewußtsein erscheint, nur ein weiterer Traum, und sollte der lange, sehr real empfundene Traum nicht unser reales Leben sein? Wann sind wir wach, und wann träumen wir?

Diese beiden Fragen sind nicht einfach zu klären, zeigen aber doch sehr deutlich, daß wir uns letztlich nur durch und auch über unser Bewußtsein definieren. Es ist nur, was ich denken kann. Doch wenn wir unser Denken und unsere Spiritualität bewußt einschränken, dann wird für uns auch nur sehr wenig sein.

So verfolge ich fast täglich und mit einem großen Vergnügen die vielen Diskussionen esoterischer Gruppen in Foren und Chats im Internet, die in sehr hoher Regelmäßigkeit stets in rechthaberischen Wortschlachten und faszinierenden Haßtiraden ausufern, weil jeder der Teilnehmer sich sein Weltbild und seine ganz persönliche Theorie zurechtgelegt hat und natürlich vor den anderen eisern zu verteidigen sucht.

Doch diese ganzen Diskussionen machen keinerlei Sinn, da sie nur einem winzigen Sturm, einem Luftzug im Wasserglas gleichen, der für mich persönlich nur einen reinen Entertainment–Charakter besitzt.

Man kann sich so viele Theorien zurechtlegen, wie man mag. Doch wenn man nicht in der Lage ist, seine eigenen spirituellen Begrenzungen einzureißen, dann wird man immer wieder nur mit einem unbefriedigten Gefühl einschlafen und am nächsten Morgen erwachen müssen. Man bewegt sich ausschließlich nur auf bekanntem Terrain.

Doch es ist müßig, sich ständig über die Borniertheit von Schläfern aufzuregen, da sie sogar so sehr von sich überzeugt sind, daß sie nicht einmal ansatzweise bemerken, daß sie sich mit ihrer Einstellung, natürlich schon auf Dauer betrachtet, selbst ihren Lebensraum und zudem noch den Lebensraum anderer Lebewesen zerstören.

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