Der Wohlfühlort

Ich leide fast mein ganzes Leben lang schon unter chronischen Depressionen, die sich bis zum heutigen Tag immer weiter gesteigert haben, fieser und hinterhältiger wurden. Es gab viele Zeiten voller Sorgen und Nöte, die mich nicht haben, schlafen lassen. So lag ich oft Nächte lang wach, habe während der Tage manchmal, gelähmt vor Angst und Panik, nur so dagesessen und versucht, die Zeit um mich herum irgendwie vorbei gehen zu lassen. Doch mit der Zeit habe ich Überlebensstrategien entwickelt, die mir zumindest etwas geholfen haben und die mich nicht haben, wahnsinnig werden lassen. Mit ihnen hatte ich wenigstens die Chance zum Beispiel gelegentlich einzuschlafen.

Zum einen war ich irgendwann in der Lage luzide zu träumen und meine Träume bewusst zu lenken und in gewissem Maße, deren Regisseur zu sein. Aber darum geht es mir heute nicht. Heute möchte ich von meinem Wohlfühlort berichten, den ich mir selbst einrichten und dessen Zugriff ich auch trainieren musste. Mit ihm bin ich in der Lage, mich aus einem Szenario der Hoffnungslosigkeit und Angst einfach zeitweise einfach selbst komplett auszublenden. Das löste zwar nicht meine Probleme und verlagerte sie nur zeitlich, schaffte mir aber zumindest eine kurzfristige, seelische Lösung. Kinder können das noch ganz instinktiv. Allerdings ist diese Lösung auch mit Gefahren verbunden, weil man süchtig nach dem Wohlfühlort werden kann und man mit der Zeit den Wunsch verspüren kann, einfach dort zu bleiben. Es kommt dann zu einer mentalen Abspaltung zwischen Körper und Geist, und der Körper verliert an Bedeutung und Vertrauen, ein Mißverhältnis entsteht. Der Geist steht nicht mehr einfach nur über dem Körper, sondern sieht ihn als Belastung und minderwertig an, vernachlässigt ihn. So ist es inzwischen oft bei mir auch und stellt damit ein ganz eigenes Problem dar, das auch nicht zu verachten und sehr übel ist. Also sind diese Techniken des Wohlfühlortes zwar hilfreich und sehr mächtig, aber auch mit Vorsicht zu geniessen.

Der Wohlfühlort. Er ist ein fiktiv zu erschaffender, im Geist zu bildender Ort, an dem du als Architekt und Baumeister alles vereinen sollst, was dein Herz und deine Seele lachen lässt, dich und deine Träume mit Glück erfüllt. Um ihn zu erschaffen, musst du dich entspannen und auf deinen Geist konzentrieren. Erschaffe in ihm zunächst einen kleinen Ort, den nur du erreichen kannst, über eine Tür, einen Weg oder eine Brücke, die du festlegst und du gibst ihm einen nur dir bekannten Namen, den du immer wieder im Zusammenhang mit ihm verwendest, dir ihn geistig aufsagst oder wie einen Zauberspruch verwendest, um die Tür, den Pfad oder die Brücke zu öffnen. Es muss ein kleines inneres Ritual sein, um an diesen sagenhaften Ort zu gelangen.

Reise im Geist an an deinen Wohlfühlort und richte ihn so ein, dass niemand aus dieser Welt an diesen Ort gelangen kann. Nur du hast Zugriff und füllst ihn mit allem Schönen, mit den liebenswertesten Geschöpfen und Wesen, denen du allen eigene Namen gibst. Dort gibt es keine Sorgen, keine Nöte, keine Schmerzen, kein Hunger, keine Not, sondern nur Liebe und gegenseitigen Respekt. Es ist dabei völlig egal, was und wen du verwendest, ob Gott, Engel, Elfen, Feen, eine paradiesische, helle Landschaft, eine fiktive Liebesbeziehung aufbaust, was auch immer, denn es ist dein persönlicher Wohlfühlort und niemand kann zu ihm, ausser dir. Gehe ins Detail, stelle dir zum Beispiel die saftig, grünen Wiesen vor, das Summen der Insekten, die wärmende Sonne, den sanften, kühlenden Windhauch auf deiner Haut. Lebewesen, die bei dir sind, dich lieben, so wie du bist und die gut zu dir sind. Benenne sie alle und entspanne dich mit ihnen. In dieser Welt gibt es keine Rechnungen, keine Idioten oder Sorgen. Diese haben keinen Zutritt. Sage dir, dass sie in diesem Augenblick die wahre Welt ist. Du musst den Wohlfühlort auch nicht an einem Tag fertig stellen, sondern du sollst immer wieder an ihm arbeiten und ihn verbessern, die Wesenheiten an ihm kennenlernen und dich an ihm erfreuen, Vertrauen aufbauen. Verwende dabei immer ihre, von dir gegebenen Namen und vor allem dein Codewort für den Zugang. Es soll mehr sein, als nur ein Traumland, es ist deine eigene Wohlfühlwelt X, die für dich bei deinen Besuchen so real werden soll, wie irgendwie möglich.

Immer wenn es dir nicht gut geht und du zum Beispiel nicht schlafen kannst, dann konzentriere dich auf Entspannung und sage das antrainierte Schlüsselwort, um den Weg zu deinem Wohlfühlort zu öffnen und reise in Gedanken zu ihm und verweile dort, bis du eingeschlafen bist oder es dir besser geht. Verstärke diesen Effekt, sich von den Sorgen zeitweise zu lösen, indem du bei schönen Erlebnisse und Erfahrungen dir auch immer dieses Wort sagst und diese Erlebnisse mit in deine Welt einbaust. Mit der Zeit lernst du so, deinen Geist damit zu konditionieren und dem Wort so viel Macht zu geben, dich auch aus tiefen, düsteren Zeiten, zeitweise konsequent herauszuholen und dich an deinen Wohlfühlort zu geleiten. Das funktioniert nicht sofort perfekt und bedarf einiges an Übung und Training, doch es ist die Sache wirklich wert und verschafft dir die Möglichkeit der seelischen Pausen und die Basis, um endlich wieder einschlafen und schlafen zu können. So kann es auch sein, dass du im Schlaf auch von diesem Ort irgendwann träumst und erkennst daran, das er dein Unterbewusstsein bereits beeinflusst. Mit der Zeit wird dieser Ort immer größer und machtvoller, gewinnt auch Einfluss auf dich. Das ist auch ganz Veranlagungssache und Sache der Stärke der individuellen Fantasiefähigkeit.

Wenn du das alles in Maßen betreibst und/oder dein Leben dich nicht dazu zwingt, dich nur noch an diesem Wohlfühlort aufzuhalten, dann ist der Wohlfühlort eine schöne Lösungsmöglichkeit für deine Einschlafprobleme und Sorgenphasen. Wenn du allerdings bemerkst, dass du süchtig nach diesem Ort wirst und dich nur noch darin aufhälst, solltest du ein wenig massvollen Abstand von ihm suchen, da sonst, wie schon erwähnt, ein destruktives Mißverhältnis von Geist und Körper entstehen kann, das dann für sich selbst zu einem unangenehmen Problem wird. Woran liegt das? Das liegt an unserer immer kälter werdenden, anonymen und empathielos werdenden Welt und Realität. Normalerweise sollten wir in einer Welt leben, die einen solchen Wohlfühlort nicht notwendig macht. Doch wenn diese Welt uns krank macht, dann müssen wir uns selbst helfen, um in ihr überleben zu können.

Diese ganze Sache ist zudem nur der eine, erste Teil einer Sicht der Dinge, die sehr bedeutungsvoll für uns Menschen ist und die wir heute vergessen haben zu leben und zu begreifen. Ich nenne sie: »meine Magie«. Ganz bewusst so geheimnisvoll, weil diese Bezeichnung damit eine ganz besondere Stärke und Macht erhält. Sprache und die Verknüpfung unserer Seele mit ihr, sie wirken so machtvoll auf uns Menschen und unsere Umwelt. Doch wir haben die Bedeutung dieser Verbindung heute fast vollkommen vergessen. Wir loben die Musik, aber im Prinzip ist die Sprache richtig angewendet und verstanden, wesentlich machtvoller in unserer seelischen Beeinflussung. Damit lösen wir uns von unseren Grundfesten und unserer Stabilität in der Welt, werden so zu unseren eigenen Opfern. Es gibt so viele Dinge auf und in dieser Welt, die wir nicht erklären können, und wir sind so anmassend gewesen, sie nicht erklären zu wollen, so dass wir immer mehr davon schlicht vergessen haben. Der Wohlfühlort ist dabei nur ein kleiner, erster Schritt, diese Dinge für uns wiederzufinden und nutzbar zu machen…

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert