Narr

Von Narren und Menschen

„Es gibt Dinge, die können wir einfach nicht erklären!“

Mit diesem Satz wollte ich schon immer ein Buch beginnen, da er ganz klar aussagt, daß es in unserer Welt noch etwas zu geben scheint, was wir zwar recht klar erahnen, aber aus irgendwelchen Gründen nicht für unser Weltbild zulassen. So stellen sich immer wieder die gleichen, übereinstimmenden Fragen nach dem Jenseits, nach Magie und Zauberei, nach übermenschlichen Fähigkeiten und vielen anderen seltsamen Gegebenheiten. Wir stellen uns diese Fragen stets mit der permanent an unserem Geist nagenden Vorahnung, niemals eine verläßliche Antwort darauf zu bekommen. Und dennoch lassen sie uns keine Ruhe. Diese Fragen verfolgen uns, auch wenn wir sie noch so sehr verdrängen wollen.

Menschen wirken auf mich oftmals wie Insassen eines Autos, die in ihrem eigenen Sein immer wieder nur dazu verdammt sind, im Kreis zu fahren. Manche schlafen, manche sehen interessiert zum Fenster heraus, andere haben das Fenster herunter gekurbelt und können sogar die Luft außen riechen, und wieder andere sehen stets nur in den kleinen Kosmetikspiegel auf der herunterklappbaren Sonnenblende des Beifahrersitzes.

Dabei kann man nur Antworten auf diese existenziellen Fragen bekommen, wenn man bereit dazu ist, aus dem Auto auszusteigen und zu dieser Bereitschaft auch Taten folgen läßt. Ist es denn nicht so, daß nur ein Narr aussteigen würde, um fremdes Land zu betreten?

Zuerst belächeln wir das, was wir nicht verstehen, um es in der Regel anschließend zu zerstören. Wir fegen vernichtend über nahezu jedes neu entdeckte Land hinweg, um es uns Untertan zu machen. Wir sprechen bei diesem Feldzug von Fortschritt, wobei wir scheinbar nicht mehr erkennen, was dieses Wort in Zusammenhang mit unseren Handlungen wirklich bedeutet. Wir meinen doch wirklich das Fortschreiten der menschlichen Rasse, und es liegt an uns, ob es das Fortschreiten einer zerstörenden Krankheit, einer Seuche für unsere Welt ist, oder ob es das Fortschreiten im Sinne der geistigen Entwicklung und der Bewußtseinserweiterung ist.

Warum das so ist, diese Frage hat mich eine lange Zeit meines Lebens sehr beschäftigt. Es muß sich bei dieser Fehlorientierung um eine Art Fehler in der menschlichen Software handeln, für den es kein Patch zu geben scheint. Der Mensch an sich ist nicht schön, ist nur sehr minder leistungsfähig, er ist unzivilisiert und sieht sich stets im Mittelpunkt des Universums, obwohl es augenscheinlich tatsächlich keinen Mittelpunkt gibt, und er verbindet Friede oftmals nur mit einer kurzen Pause zwischen zwei tosenden Kriegen.

Welches Wesen würde schon einen Menschen behalten wollen, wenn man ihn so ausgeliefert bekommen würde, wie er heute ist?

Ja, nur ein wahrer Narr würde so einen armseligen Menschen behalten wollen. Wer begibt sich schon in die Gefahr, belacht und anschließend zerstört zu werden, wenn nicht gar ein wahrer Narr?

Und doch, es gibt sie, diese Narren, und sie sind tatsächlich unter uns. Es sind Narren, die aus dem Mensch erwachsen sind. Sie sind Menschen, die in einem Lebenszyklus mehrmals geboren wurden und immer wieder werden und sich mit jeder Geburt weiterentwickeln, ohne vorher sterben zu können. Sie sind von der Macht des Kneph erlöst und leben nicht mehr nur in einer Welt des ewigen Wechselspiels von der Helligkeit des Tages und der Dunkelheit der Nacht, sondern ihr Sein erblüht in jeder einzelnen Farbe des Regenbogens, die ihre Herzen lachen lassen. Narren können oftmals ungebildet und grob wirken. Sie erscheinen als bizarre Menschen, deren Handlung man nicht versteht und oftmals nicht verstehen mag. Dennoch sind sie hoch sensible Kreaturen, und immer wieder sind unter ihnen Empathen. Das sind Menschen, die sich auf eine ganz faszinierende Weise in andere Lebewesen hineinversetzen können, sogar so weit, daß ihre Emotionen beinahe miteinander zu verschmelzen scheinen. Narren bewegen sich fast ausschließlich auf spirituellen Pfaden, die den meisten Menschen auf Lebzeiten verborgen bleiben und sammeln immer wieder Erfahrungen in Dimensionen, die nur sehr schwer vom menschlichen Geist verarbeitet werden können. Sie leben in einer ganz besonderen Schizophrenie zwischen dem normalen Leben in der menschlichen Gesellschaft und der Innenwelt, zu der sie über die Pfade des Narren gelangen können. Dabei erfahren sie die Außenwelt der Schläfer auf eine völlig andere Weise, als die Schläfer selbst. Immer wieder verstehen sie sich als Medium zwischen der Innen- und der Außenwelt, um das Gleichgewicht zu erhalten und das Leiden der Schläfer zu mindern. Sie können nicht anders. Es ist ihre Bestimmung. Dennoch sind sie Menschen, sind verletzbar und verdammt zu einem leidvollen Leben in einer Gesellschaft voller Schläfer und in einem Körper, der für sie mehr eine Last, als eine Unterstützung darstellt. Nur selten treffen sie auf Toleranz unter den Menschen, oder gar auf einen anderen Narren, um der Einsamkeit zu trotzen, die ihr ständiger Begleiter zu sein scheint.

Die Menschen jedoch neigen zum Schlaf. Nur wenige sind erwacht. Fast alle sprechen vom Leben, aber sie leben nicht wirklich. Ihre Körper wandeln in ihrem ganz individuellen Menschsein herum und glauben fest an den Bestand der Welt, ihrer ganz individuellen Welt aus ihren Wünschen und Vorstellungen, die Außenwelt.

Doch die Außenwelt ist nicht einmal annähernd das, was man wirklich als Welt bezeichnen könnte, sondern sie ist letztlich nur ein winziges Kohlensäurebläschen in einem gewaltigen Ozean aus Sprudelwasser. Das Bläschen sprudelt empor, und wenn es an die Wasseroberfläche kommt, um doch endlich zerplatzen zu können, so ist es immer, gleich dem Sterben eines menschlichen Bewußtseins. So ist Sterben stets erwachen. Der schlafende Mensch stirbt, um als erwachtes Sein zu bestehen, um dann wieder einzuschlafen. Das menschliche Sein ist daher nicht mehr, als der bekannte Zyklus von Schlaf und Wachsein, von Regeneration und Abnutzung. Daher ist das Sein des Schläfers von vornherein brutal eingezwängt in dem reinsten Dualismus, der sich natürlich bis hinein, in sein menschliches Handeln und Entscheiden fortsetzt. Dualismen geben dem schlafenden Menschen Halt und Sicherheit. Das Sein des Narren jedoch, ist niemals bestimmt und definiert sich durch eine vielmehr unendliche Pluralität, die ihn in der Gemeinschaft mit schlafenden Menschen skurril und verdächtig erscheinen läßt. Für ihn gibt es keinen greifbaren Unterschied zwischen dem Schlaf und dem Wachsein. Er ist ein Mensch, der seinen Körper pflegt und behandelt, als wäre er ein Esel, der ihm auf seinen spirituellen Pfaden als Lasttier begleitet, um nach einer erfolgreichen Expedition ausgewechselt zu werden. So ziehen sich die symbolischen Vergleiche mit diesem Lastentier parallel zu der menschlichen Entwicklung, da es schon immer Narren unter den Menschen gab, die immer wieder aus dem Menschen geboren wurden. Selbst in der Bibel könnte man so einen Vergleich finden, suchte man doch danach.

So besteht seit Menschengedenken bereits eine Koexistenz zwischen den schlummernden Menschen und den Narren, die zwar primär gefährlich für den stets verdächtig wirkenden Narren erscheint, aber durch seine Existenz ohne greifbare Lebensgrenze es einfach nicht ist. Ein Narr ist zwar auch von seinem kommenden Ableben tief berührt, aber nur deshalb, weil er von einer Aufgabe ablassen muß, die ihn seit meist sehr langer Zeit beschäftigt. Er muß einen Gedanken aufgeben. Der Narr ist primär ein Wesen, das alles für einen Gedanken aufzugeben scheint, was dem schlafenden Menschen als recht töricht anmutet, es aber in Wirklichkeit nicht ist, da der Narr vom Anbeginn des Gedankens her weiß, daß er nichts aufzugeben hatte. So kann er sich sein ganzes menschliches Leben lang nur mit einem Gedanken befassen, wie beispielsweise dem Duft einer Blume, dem Gefühl des Streicheln des Windes auf seiner Haut, oder sich auch nur dem widmen, was den anderen Menschen auf Ewigkeiten verborgen bleibt.

So bringen selbst die Erkenntnisse eines einzelnen Narren immer wieder die Entwicklung der gesamten Menschheit voran, sei es in der Zukunft oder im Augenblick, und so erfreut sich der Narr oftmals einfach nur an den Reizen der schlafenden Menschen, legt einen Winkel an die Leiern der Schläfer an, um manchmal selbst nur einen Gedanken weiterentwickeln zu können. Die Früchte eines Narrenleben können durchaus in nur einem Sommer heranreifen, auch wenn sie dann erst nach Jahrhunderten von den Menschen geerntet werden. Und so ist er unter dem Schein der Sonne für die Menschen nur ein Esel Bileams und unter dem fahlen Licht des Mondes ein Kelch des menschlichen Taus, eine Kreatur mit einer dreigeteilten Kappe auf dem Haupt, die so lächerlich anmutet, wie man den Narren zu erkennen glaubt. Doch diese Kappe symbolisiert weitaus mehr, als nur das exklamatorische Anprangern von Törichtkeit. Sie ist Symbol für die drei wichtigsten spirituellen Pfade des Narren an deren Ziel das Paradies, ein wahrhaft spirituelles Goldland liegt, das durch die Schellen an den Spitzen der Kappe verdeutlicht werden soll. Man findet überall auf der Welt und kulturübergreifend in vielen alten Schriften und Zeichnungen Hinweise auf die erhebliche hermetische Bedeutung des Narren. Doch im Gegensatz zu diesen Schriften will ich nicht näher auf die alten Symboliken eingehen, so wie es einige moderne Autoren bereits getan haben, sondern mich auf den Narren selbst konzentrieren. Der Narr selbst ist ein großes Mysterium, über das man besondere Einblicke zu weiteren Mysterien bekommen kann. Die Pfade des Narren jedoch führen nur zu den Schlüsseln jener Mysterien, die wir nur erreichen können, indem wir uns dazu entschließen, aus dem kreisenden Auto auszusteigen, das ist eben eine Prämisse, um die Pfade letztlich beschreiten zu können. Doch es liegt immer an dem Schläfer selbst, erwachen zu wollen, um ein Narr zu sein.

Für den schlafenden Menschen ist nur, was er in Bildern erfassen kann. Wenn er die Bilder in seinem Kopf einer Erinnerung zuordnen kann, so sieht er sich als Rationalist und decken sich seine Bilder mit denen anderer Menschen, dann fühlt er sich als Realist. Es ist daher völlig unmöglich dieser selbst ernannten Form von Rationalisten und Realisten unter den Schläfern die Zwischenwelt und schon überhaupt nicht das Jenseits beweisen zu wollen. Von der Zwischenwelt können sie zwar Bilder erfahren, sie aber nicht zuordnen und vom Jenseits gibt es nicht einmal Bilder. Es ist nur möglich den Menschen etwas zu beweisen, die eine Veranlagung und den Willen zum Erwachen haben. Oftmals kommt der Wille zum Erwachen nur als Folge einer einschneidenden Erfahrung mit einer massiven Bildfolge aus der Zwischenwelt. Das kann beispielsweise im Rahmen einer Nahtoderfahrung geschehen, oder wenn der Mensch über eine längere Zeit den Kräften eines sogenannten Kraftortes ausgesetzt wird. Die Vielzahl an Bildfragmenten und völlig neuen Eindrücken aus der Zwischenwelt führen fast stets zu einer hoffnungslosen Reizüberflutung, die widerum Angst, Beklemmungen und später in Folge Depressionen und Persönlichkeitsstörungen auslösen kann. Glaube wird zu Wissen. Solche Erfahrungen führen in der Regel zur völligen Lebens- und Einstellungsveränderungen des gerade erwachenden Menschen. In dieser Zeit ist der Erwachende psychisch massivst gefordert und den Schläfern fast völlig schutzlos ausgeliefert, denen er sich in der Regel fast waghalsig nähert. Das ist damit zu erklären, daß er das Bedürfnis verspürt, ein starker innerer Drang, den Menschen seiner Umgebung die Entdeckungen und Erfahrungen mitzuteilen. Natürlich enttarnt er sich damit sofort und verschlimmert seine Situation sogar noch weiter damit, daß er seine Mitmenschen sogar überzeugen will. Damit wir der unbedingt auf den Pfad des Leidens gedrängt ohne sich über seine neue Position in der Realität bewußt zu sein. Er wendet sich stets um und versucht die Schläfer mit sich auf den Pfad zu zerren, die nicht einmal fähig dazu sind, einen Pfad zu erkennen. Für sie steht der Narr an einem Abgrund, einem schwarzen Schlund, in den er sie in seinem Wahn mit hineinziehen will. Erst wenn der erwachte Mensch den Pfad als solchen erkennt und ihn bewußt weiter verfolgt, wird er sich mit jedem Schritt weiter auf seinem Pfad darüber bewußt, wo er steht und was er ist. Ich spreche dann von einem Narren.

Ein Narr wirkt medial veranlagt, kann Fähigkeiten ausprägen, die zwar bei jedem Menschen latent vorhanden sind, aber völlig in Vergessenheit geraten sind. Er wird diese Fähigkeiten einsetzen, um die Einsicht seiner Position zu stabilisieren und die Zwischenwelt zu erleben, in der zwar die Menschen grundsätzlich sind, sie aber nicht beleben. Sie schlafen und träumen von schönen Bildern. Der Narr jedoch ist wach und belebt die Welt mit jedem Schritt auf seinem Pfad. Ein Medium besitzt die Fähigkeit Menschen die Augen zu öffnen und ihnen etwas aus der Zwischenwelt zu zeigen, auch wenn sie es nicht verstehen und sich lieber wieder den bekannten Bildern zuwenden. Doch nur ein Narr ist weise genug, ausschließlich Augen zu öffnen, die geöffnet werden wollen, um dann da zu sein, wenn ein Erwachen droht. Sollte ein Medium viele Augen öffnen, die nicht geöffnet werden wollen, so ist das eine Sache. Doch was geschieht, wenn sie Augen öffnet, die geöffnet werden wollen und sie sich dessen nicht bewußt ist. Der Narr ist viel zu sehr Mensch, als das er einen erwachten Menschen bewußt sich selbst überlassen kann. Es ist alles. Die Zeit ist mit dem Denken des Menschen verwachsen, was seine Welt zu einem einzigen Prozeß werden läßt, der eigentlich keiner ist. Wenn Religionen predigen, daß Gott alles sei, so ist das eine beachtliche Feststellung, da tatsächlich alles ist. Die gesamte Entwicklung des Menschen ist eigentlich nur scheinbar, da es sie nicht wirklich gibt. Es gibt nichts, was nicht bereits ist und schon immer war. Der Mensch war sich dessen nur nicht bewußt, und das Ziel des Menschen ist eigentlich nur, sich dem Zustand der Gesamtheit bewußt zu sein. Selbst das Wissen des Narren über seine Position in der Gesamtheit von individueller Teilrealität und Zwischenwelt ist eigentlich daher auch nur eine Form von Bewußtseinserweiterung.

Selbst die Welt der Schläfer verbindet Informationen mit Macht, geht aber dabei leider aber nur von Informationen aus, die Bilder bringen, die der subjektiven Teilrealität zugeordnet werden können. So bewegt sich diese Welt immer nur um sich selbst.

Nur eine echte Bewußtseinserweiterung in Richtung des Bewußtwerdens des Gesamtzustandes kann diesen Irrsinn durchbrechen und die Menschheit voranbringen. Doch dazu gehört der Mut, die vielen, über Jahrtausende eingefahrenen Spuren ganzer schlafender Gesellschaften zu durchbrechen und in die Zwischenwelt aufzubrechen.

Der Mensch denkt in Dualismen. Dualismen geben ihm Sicherheit. Sie sind die Abgrenzungen für seinen Geist. Er hat Angst seinen Geist in der Grenzenlosigkeit schweben zu lassen, obwohl es nur eine Unendlichkeit gibt, in der er ist. Unerträglich scheint ihm der Gedanke, sein Ich in dieser Unendlichkeit zu wissen, in dem es sich möglicherweise verläuft. Das mutet narzistisch an, obwohl es nur eine ganz reine Form von Angst ist. So kauert der Mensch in seiner Blase subjektiver Teilrealität und zittert vor Angst, er könne sterben und seine Teilrealität verlieren. Das ist wirklich erbärmlich.

Eine hohe Kunst ist es jedoch, nicht ausschließlich in diesen Dualismen zu denken, und es verliert sich damit eine wesentliche Einschränkung des Geistes. Ohne Kreativität und Phantasie ist da nichts zu machen. Doch die moderne Gesellschaft hat es sich angewöhnt, gerade Menschen mit einer hohen Sensibilität als Schwächlinge zu diskriminieren, obwohl nur sie dazu fähig sind, diese Dualismen zu durchbrechen, da sie Phantasie und Kreativität kultivieren können. Zwischen der Farbe Schwarz und der Farbe Weiß liegt schließlich die eigentliche Schönheit des Lichtes. Und das Licht selbst erscheint oftmals als der Gegensatz der Dunkelheit, dessen Farben ebenso sind, wie das des Lichtes. Selbst die meisten Weisen der esoterischen und hermetischen Zunft begnügen sich damit diese einzelnen Farben sehen zu lernen, und werden dennoch niemals erfahren was es heißt, die ganzen Universen zwischen diesen Farben zu erblicken. Dort aber setzt der suchende Narr an. Er sucht beharrlich nach einem Weg sich zwischen die Farben zu drängen, um frei sein zu können. Dualismen zwängen ihn ein, quälen ihn und bedeuten für ihn Sinnlosigkeit. So sieht er seinen einzigen Ausweg in den Universen zwischen den Dualismen, Universen, die für die meisten Menschen nicht existent sind.

Wollte man so ein Universum beschreiben, so würde man es nicht können, da es sich nicht in Dualismen beschreiben läßt. Es würde nicht verstanden, nicht akzeptiert, und der Mensch würde versuchen, es in seine Grenzen zu zwängen. Die Denkweise des Menschen versucht unbekannte Eindrücke mit bekannten Bildern zu paaren, um sie für sich zu visualisieren. Das ist eine Prämisse für das Verstehen. Dennoch gibt es eine kleine Geschichte, die ich aufgeschrieben habe, um wenigstens eine Lokalität solcher Lücke zwischen den Dualismen zu simulieren. Es ist die Geschichte eines Mannes im mittleren Alter, der schon ein recht aufreibendes und von Schicksalsschlägen geprägtes Leben hinter sich hat und nun jeden Tag seine Existenz abarbeitet. Es könnte fast so ein Leben sein, wie ich es führe. Ein Leben führen, wie ein nicht endender Abend: …

Es ist schon spät.

Ich stehe in meinem Badezimmer und putze mir meine Zähne.

Heute bin ich besonders müde.

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie bin ich total fertig.

Meine linke Schulter schmerzt heute schon den ganzen Tag.

Mich kotzt es an, jeden Tag meine Augen aufzuschlagen, aufzustehen, zur Arbeit zu fahren, mich meinen Mitmenschen zu präsentieren, dann am Abend noch einen Happen zu essen, um schließlich letztlich hier zu stehen, und mir wieder einmal meine Zähne zu putzen.

Ich spüle mir völlig lustlos meinen Mund aus.

Das Wasser ist lauwarm und schmeckt nach Eisen.

Nachdem ich die Zahnbürste ausgewaschen habe, stehe ich noch eine Weile still am Waschbecken und werde dabei wieder einmal recht schwermütig. Immer wieder stelle ich mir die Frage, welches Recht meine Eltern wohl hatten, mich so einfach in diese häßlich Welt zu setzen. War es Liebe, oder war es einfach nur einfaches Vergnügen, die Gier nach Sex?

Mir geht es nicht gut.

Ich drehe den Wasserhahn zu und setze mich auf den Badewannenrand.
Langsam quält sich ein Tropfen Wasser aus dem Hahn.

Ich beobachte, wie er immer schwerer wird und sich schließlich von der Hahnmündung löst.

Genau in diesem Augenblick spüre ich einen übermächtigen Schmerz in meiner Brust, und das Waschbecken verschwimmt langsam vor meinen Augen. Eine wahnsinnige Todesangst flammt in mir auf, und ich reiße verzweifelt meinen Mund auf, um laut mein Entsetzen heraus zu schreien.

Allerdings den Tropfen vom Wasserhahn sehe ich dabei noch immer gestochen scharf. Er bewegt sich mit einer unglaublich quälenden Langsamkeit durch die Luft in Richtung des schwarzen Abflusses. Die Schmerzen in meiner Brust werden immer stärker und zwingen mich unweigerlich in die Knie. Doch den Blick auf den Wassertropfen behalte ich bei. Es ist wie ein Zwang, eine bizarre Magie, die mich an seinen Fall bindet. Meinen Blick kann ich einfach nicht abwenden.

Die Luft im Badezimmer beginnt sich nun plötzlich ganz seltsam zu bewegen und zu wabern, ein Flimmern, als wäre sie aus feinem Gelee, der immer fester und fester zu werden scheint. Ich atme diese Masse ein und spüre deutlich, wie ich sie in meine Lungen sauge. Ich will Luft, immer nur Luft und versuche mit aufgerissenen Augen verzweifelt Halt zu finden. Dabei sehe ich ihn noch immer, diesen kleinen, fallenden Tropfen, wie er ganz langsam fällt und sich dabei durch das Gelee frißt.

Meine Lippen werden allmählich gefühllos, und ich spüre, wie das Herz in meiner Brust mit einer unglaublichen Gewalt und Schmerz, Blut durch meine Adern pumpen will. Doch überall ist sie, diese beklemmende, durchsichtige Masse. Ich schlucke sie über meinen Mund, durch die Nase in meinen Körper hinein und versuche mich krampfhaft am Badewannenrand fest zu halten. Ich will schreien.

Doch ich sehe nur diese entsetzliche Masse aus meinem Mund herausströhmen, und natürlich im Hintergrund immer wieder diesen schrecklichen Wassertropfen. Er hat bereits mehr als die Hälfte zu seinem schwarzen Ziel zurückgelegt. Was wird wohl geschehen, wenn er den Abfluß erreicht hat? Ich ahne es. Nein, ich begreife es ganz plötzlich.
„Ich muß ihn aufhalten“, schießt es mir durch den Kopf, „er darf den Abfluß nicht erreichen.“ Das ist mein Ende, der Abfluß ist das Ende, da bin ich mir nun ganz sicher. Dieses widerliche Gelee brennt mir in den Augen. Ich versuche mit letzter Kraft meine Hand durch die Masse zu bewegen, um den Tropfen zu erreichen, ihn aus seiner Bahn zu schlagen. Er darf sein Ziel nicht erreichen.

Doch diese Masse hält meinen Arm fest umklammert und scheint sich zudem immer mehr zu verfestigen.

Dann, ganz plötzlich, meine ich eine leise Musik zu hören. Sie ist ganz weit entfernt, wird aber langsam lauter.

Ich muß etwas tun.

Der Tropfen bewegt sich immer weiter nach unten, völlig ungestört, wohl einem Naturgesetz folgend.

Die Musik reift zu einem lauten, unangenehmen Kreischen heran.

Ich versuche nun soviel Gelee einzuatmen, wie es mir nur möglich ist und schreie daraufhin dieses widerliche Zeug aus mir heraus, in die Richtung des fallenden Tropfens. Meine Lungen drohen dabei fast zu zerplatzen.

Ich beobachte mit brennenden Augen, wie sich ein Strom dieser Masse langsam auf den Tropfen zu bewegt. Der Schmerz in der Brust hat einer unangenehmen Taubheit Platz gemacht.

Das ist meine letzte Chance den Tropfen aufzuhalten, da er nun bereits fast den Abfluß erreicht hat. Panisch glotze ich auf den ausgestoßenen Strom aus Gelee, der immer langsamer und langsamer fließt, weil er sich selbst durch den Widerstand ausbremst.

Doch er schafft es tatsächlich.

Er kommt an pünktlich an.

Mit großem Entsetzen muß ich dann erkennen, dass er sich einfach über diesen Tropfen hinweg bewegt, als wäre nur ein alter Felsen in der bewegten See.

Das ist mein Ende!

Das Kreischen in meinen Ohren macht mich völlig wahnsinnig, und die Schmerzen in meiner Brust lähmen bereits meine gesamte linke Seite. Ich rutsche ganz langsam ächzend auf den kalten Fliesenboden.

Dann erscheint aus dem Nichts das Bild einer wunderschönen Frau vor meinen Augen. Erst denke ich an ein Hirngespinst. Doch dieses Bild ist so ungewöhnlich real. Es ist eine Frau mit langen, dunklen Haaren, die mich völlig gelöst anlächelt. Ihre wunderbaren Augen strahlen mich sogar an, und sie streckt ihre Hand nach mir aus.

Ich kenne sie.

Sie ist das einzige Wesen, das ich jemals in meinem langweiligen Leben richtig geliebt habe, das mir etwas bedeutet hatte.

Diese Frau vor meinen Augen ist so schön. Sie so wirklich. Das Kreischen in meinem Kopf ist durch diesen Anblick fast vergessen.

Es ist meine geliebte Anna.

Ja, es ist Anna, die mir der Tod bereits vor Jahren entriß.

Er nahm sie einfach so, raubte sie aus meinem Leben.

Für mich ist sie in diesem Moment so real, als würde sie noch leben.

Als ihre zierliche Hand mich berührt, spüre ich nicht den von mir erwarteten, gar so weltlichen Druck, sondern nur eine ganz unerklärliche, sehr wohlige Wärme, die sicher meine ganze rechte Hand erfaßt.

Ich schaue meine Anna gebannt an, während die Wärme ganz langsam an meinem Arm hinauf wandert.

Dann sind meine Gedanken ganz plötzlich wieder bei dem Tropfen.

Der Tropfen muß bald den Abfluß erreichen, da bin ich mir ganz sicher und will mit meiner linken Hand nach Anna greifen. Anna ist nun mein einziger Strohhalm, meine einzige Alternative. Doch ich kann diese armselige Hand einfach nicht bewegen. Die Wärme breitet sich inzwischen vom Arm ausgehend über meinen ganzen Körper aus und erfüllt mich mit einem unbeschreiblich schönen Gefühl der völligen Freiheit. Das Kreischen ist inzwischen ganz aus meinem Bewußtsein verschwunden und die Lähmung meiner linken Seite hat mir den Schmerz völlig genommen. Diese erlösende Wärme löscht sämtliche Todesangst in mir immer weiter aus. Ich kann nun sogar wieder ganz befreit lächeln, und ich krieche hier auf dem Boden in diesem seltsamen Gelee und lächle. Ja, ich lächle meine süße Anna an, so wie ich sie früher immer angelächelt habe. Wie oft habe ich mich die letzten Jahre danach gesehnt, meine Anna noch einmal anlächeln zu können. In diesem bedeutungsvollen Augenblick ist sie für mich einfach die einzige faßbare Wirklichkeit, sie ist mein Leben. Ja, ich kann jetzt sogar ihr Parfüm riechen.

Dann plötzlich erreicht der Wassertropfen unbarmherzig sein Ziel und verschwindet nahezu geräuschlos in dem finsteren Abfluß.

Der Wasserhahn in der Helligkeit der Neonröhre des Badezimmers und der Abfluß als Schwelle in die Dunkelheit der Ungewißheit. Das ist Realität in seiner puren Form. Wir gehen in das Badezimmer, und da ist er. Wir nehmen ihn kaum wahr. Er ist selbstverständlich, ebenso, wie der schwarze Abgrund ihm gegenüber klafft, wie ein Schlund in die Hölle. Sie beide sind wie das, was wir unter dem Leben und dem Tod verstehen. Wir sehen sie jeden Tag, und doch sind sie nur ein Wasserhahn und ein Abfluß. Und wenn wir ihn abstellen, den Wasserhahn, so drehen wir uns weg und sehen meistens nicht den letzten Tropfen, wie er aus dem Hahn rinnt, um seinen Weg in den Abfluß zu nehmen. So ist der Tropfen zwar ein Zwischen, und man könnte sich mit seiner Wahrnehmung und Kultivierung bereits zufrieden und dualismenbefreit betrachten. Doch die Geschichte erzählt mehr. Sie erzählt zwar auch die Geschichte von dem Wasserhahn und dem Abfluß und dem Tropfen dazwischen. Nur ist die Erfahrung des Tropfens nicht die Zwischenwelt, obwohl er von den meisten Hermetikern und Esoterikern als solche betrachtet wird. Die Zwischenwelt ist alles andere um ihn herum, zusammen mit dem Dualismus von Hahn und Abfluß und seiner angedichteten Falschidentität. Sie ist die Emotion, die Liebe, die Sehnsucht, der Schmerz, und sie ist das Verglimmen des Lebens, das Versagen des Herzens, sie ist die Luft, das Kreischen, der gesprochene Name, die gesprochenen Buchstaben des Namens, sie ist das Leben von Anna und das Leben von dem Mann. Die Zwischenwelt ist das Universum des Augenblicks. Sie ist alles das, was um uns herum ist, das Alles in dem wir leben, aber es nicht bewußt wahrnehmen, obwohl wir es wohl könnten. Sie ist daher sowohl virtuell, als auch real, und ihre Existenz wird mit zunehmender Abstumpfung der menschlichen Sinne schwerer zu beweisen. Folgt der Mensch dieser Entwicklung weiter, so wird sie für ihn bald zu einer vergessenen Welt werden. Das wäre fatal, da das einem Vergessen der Realität gleich kommen würde. Die Gefahr des Austerbens der menschlichen Rasse würde unabwendbar sein. Die Menschen neigen dazu in ihrer Entwicklung immer weitreichender Entscheidungen über eine Realität zu treffen, die für sie nicht mehr wahrnehmbar und immer mehr vergessen ist, was katastrophale Auswirkungen für ihren Fortbestand hat. Nur der Erhalt seiner Sinne und die Kultivierung der Realität in den Köpfen der Menschen bedeutet wirkliche Zivilisation und Fortschritt im originären Sinne. Erst wenn wir die Zwischenwelt erfassen können, sind wir bereit für mehr. Und mehr bedeutet, über unsere eigene Realiät hinauszuwachsen, und sie mit den Realitäten anderer Wesenheiten zu verknüpfen, um ihnen zu geben und aus ihnen schöpfen zu können. So ist selbst der Augenblick eine Realität, die bereits jetzt mit uns über die Zeit verbunden ist. Doch wir lassen diese Realität völlig unbeachtet am Rande unseres Lebens liegen, obwohl der Augenblick an unserer individuellen Realität labt und saugt, um seinen Fortbestand zu sichern. Doch wie kann das sein? Es erscheint einem Schläfer wie ein Märchen, ein fantastisches Hirngespinst, das aus der Feder eines Träumers zu kommen scheint, der sich selbst als einen Narren sieht und wohl wahrlich auch ist. Dabei ist es der Schläfer, der nur in einer Welt voller bunter Bilder lebt, einem Medium, das nun wirklich schon immer, als eines der unsichersten und betrugsverlockensten galt. Um Bilder richtig bewerten zu können, darf man sie nicht nur sehen, sondern muß sie erfahren. So kann der Augenblick eine völlig andere Gestalt bekommen, und diese Erfahrung widerum verändert das Verhalten ihm gegenüber.

So habe ich vergessen, ob es ein Traum, oder ob es die Erfahrung eines wirklichen Bildes war, als es eines Tages plötzlich völlig schwarz um mich herum war. Dann stelle ich mir die Erfahrungen und Bilder des Augenblicks vor, als würde ich sie immer wieder erfahren.

Ist es so, daß der Augenblick nur ein fetzen Zeit ist, der schneller verfällt, als wir ihn erfassen können? Eine Geschichte vom Augenblick, die mich genau diese Annahme bezweifeln läßt.

Es ist fast völlig schwarz um mich herum.

Ein feuchter, kalter Atem schmiegt sich an mein Gesicht, und meine Hände erscheinen mir schon klamm und unbeweglich.
Es ist eine mondlose Nacht, und nur das sanfte Rauschen des eisigen Windes ist zu hören, der sich seinen Weg durch das blattlose Geäst der vielen Bäume sucht.

Ich bin alleine.

Ein lauter Schrei durchbricht die eisige Stille.

Es ist mein Schrei.

Eine unendliche Traurigkeit sitzt tief in meiner Brust und ergießt sich aus einem Spalt meiner verwundeten Seele.
Sie ist das pure Leben, dem ein bodenloses Nichts folgt, und sie ergießt sich in eine trostlose Welt, an deren Grund ich knie, als wollte ich um Vergebung für alles bitten.
Ich knie vor einem winzigen Bündel auf dem harten Boden, ein Bündel, das es niemals hätte geben dürfen.

Es liegt schon seit Stunden hier.

Keiner hat es gesehen.

Keiner hat es bemerkt.

Nur der kalte Wind wiegt es behutsam, fast liebevoll hin und wieder her.

Ein Mensch hat es hier abgelegt.

Er hat es nicht vergessen.

Er hat es abgelegt, weil andere Menschen es finden sollen.

Hier, in der Nacht, bei der Kälte, an dieser Stelle.

Es sieht so friedlich aus, und ich will es berühren.


Doch ich kann es nicht berühren.

Ich bin so nah und doch so weit entfernt.

Dieser feine Stoff, diese zarten Farben und so liebevoll verpackt in der so bitter kalten Nacht.

So liegt es vor mir, und ich kann es nur anzuschauen, um da zu sein, wenn der Augenblick naht.

Es ist jener Augenblick, der auch einst über mich kam und der über alle kommt, wenn es das Schicksal so bestimmt hat.
Mir laufen Tränen über mein Gesicht, tropfen herab auf die kalten Steine, ohne das man sie sehen kann.
Es schmerzt so sehr, wird unerträglich, und ich würde es greifen, um es dem Augenblick zu entreißen, wenn ich es nur könnte.
Aber ich kann es nicht und bin dem unsagbaren Schmerz erlegen, dem Schmerz über die Gewalt, die man der größten erfahrbaren Emotion immer und immer wieder antut. Diese Welt ist so schmerzhaft entartet, und sie merken es einfach nicht. Ihre Körper sind taub und emotionslos geworden. Sie sprechen über die Liebe ohne sie wirklich zu kennen, und sie nehmen sie, um sich gegenseitig umzubringen.
Doch ich bin immer wieder hier.

Hier, an dieser Stelle, um auf den Augenblick zu warten.
Ich breche zusammen und falle über das einsame Bündel vor meinen Knien, als wolle ich es ganz, ganz fest halten.
Die Sehnsucht droht mich zu zerreißen.

Ich liege wimmernd über dem kleinen Stückchen Stoff und bin doch so kalt.

Der Augenblick naht.

Das kann ich spüren.

Doch das Gefühl der Sehnsucht ist überwältigend und erfaßt meinen ganzen Körper, als wäre in mir ein gewaltiger Buschbrand entfacht.

In der Ferne sehe ich zwei helle Scheinwerfer.

Sie nähern sich rasch.

Der Augenblick.

Ich spüre seine Gegenwart.

Ein Auto nähert sich und hält neben dem Bündel und neben mir.
Der Augenblick ist nahe.

Die Fahrzeugtüren öffnen sich und eine junge Frau springt schreiend aus dem Auto.

Der Augenblick ist da.

Er senkt sich über mich und das Bündel unter mir.
Ein Mann steigt aus und rennt zu der jungen Frau und dem Bündel auf dem Boden.

Der Augenblick senkt sich durch mich hindurch, um nach dem Bündel zu greifen.

Die junge Frau greift schreiend durch mich und den keifenden Augenblick hindurch, um nach dem einsamen Bündel zu greifen.
Doch der Augenblick gibt nicht frei, was er gepackt hat.
Der Mann ruft.

Die Frau hebt das Bündel auf und drückt es, zusammen mit dem abstoßenden Augenblick, fest an sich.

Der Mann stürmt herbei.

Er hat eine Decke bei sich und wickelt die drei fest darin ein.
Die Augen der jungen Frau sind weit aufgerissen.
Sie hat den Augenblick erkannt, der nun auch sie zu greifen beginnt.
Sie knickt unter den Armen des Mannes, mit dem Bündel im Arm weg.

Ich bin sofort zur Stelle.

Der Augenblick läßt nicht ab von seiner Beute.

Ich versuche ihn zu packen.

Er windet sich.

Die Frau liegt stöhnend auf dem Boden.

In der Ferne nähern sich Fahrzeuge mit Blaulicht auf den Dächern und mit schrecklichem Lärm im Geleit.

Die Gier des Augenblicks ist grenzenlos, und er ist sehr mächtig.
Wieder und wieder will ich ihn packen.

Ihn von der Frau und dem Bündel wegreißen.

Doch es gelingt mir nicht.

Ich bin zu schwach, einfach zu unbedeutend.

Er hat die Stärke eines Elementes, einer Naturgewalt.

Doch ich, ich bin alleine.

Die Einsatzwagen nähern sich rasch.

Dann, ein winziger Schrei.

Fast hätte ich ihn bei dem ganzen Lärm überhört.
Ein ganz feiner Schrei eines winzigen Kindes übertönt in seiner wunderbaren Einzigartigkeit die gesamte Situation.
Der Augenblick windet sich unter diesem Geräusch und läßt augenblicklich von dem Kind ab.

Er windet sich verzweifelt, hält die junge Frau aber weiterhin ganz fest in seinen scharfen Krallen, die sich ihr brutal in den Körper bohren.

Er wird sie nicht freigeben.

Sie ist verloren.

Ich bin fassungslos.

Der Mann kniet über ihr und winkt voller Panik immer wieder die Notärzte herbei, die mit ihren Koffern aus dem Fahrzeug springen.
Er zittert, hat Angst.

Dann sehe ich etwas ganz Unbeschreibliches.

Ein leichtes und ganz feines, grünes Licht erstrahlt plötzlich aus dem Bündel und breitet sich langsam über die junge Frau, dann über den Augenblick hinweg, auf den ganzen Wald aus.
Die Menschen scheinen es nicht sehen zu können.
Sie reagieren nicht.

Nur die junge Frau bäumt sich plötzlich auf und hält das strahlende Licht ganz fest in ihren dünnen Armen, während der Augenblick noch an ihr festgekrallt ist.

Die Notärzte springen erstaunt zur Seite.

Das Gesicht der jungen Mutter ist nun voller Glück und Sanftmütigkeit, und sie ist von dem seltsamen Licht völlig eingehüllt.
In einer unvorstellbaren Kraft spüre ich diese gegenseitige Liebe von Mutter und Kind, die sich nun mit brachialer Gewalt gegen den feisten Augenblick stemmen, um ihn abzuschütteln.
Er kreischt und leckt gierig an ihrem Gesicht und dem Stoff ihres Pullovers.

Doch immer mehr gelingt es Mutter und Kind ihn zu bannen.
Es sind nur wenige Augenblicke, die aber so bedeutend sind.
Und der Augenblick läßt von seiner Beute ab, um blitzschnell in die Höhe zu schießen.

Er ist voller Wut und Zorn.

Ich spüre es.

Er fällt aber wieder herab, um ganz nahe bei mir zu verharren.
Ich kann sein leises Knurren hören, und seine Gegenwart ist für mich unerträglich.

Die Frau ist inzwischen aufgestanden und mit ihrem Kind rasch im Notarztwagen verschwunden.

Der Mann blickt in meine Richtung.

Er ahnt etwas, da bin ich mir sicher.

Der Augenblick beginnt zu vibrieren, und seine grenzenlose Gier nach dem Leben ist deutlich zu spüren.

Der Mann soll einsteigen, ihm den Rücken zudrehen und fortfahren.
Es ist wichtig ihm den Rücken zuzudrehen, dem Augenblick, gerade wenn er so voller Gier und Zorn ist.

Ich kenne das.

Ich kenne die Gefahr.

Der Mann wendet sich ab und steigt ein, um dem Notarzt zu folgen, der bereits mit lauten Sirenen abgefahren ist.
Nun bin ich alleine mit ihm.

Doch er kann mir nicht gefährlich werden, auch wenn er noch so gierig und noch so sehr voller Zorn ist.

Ich gehe zu der Stelle, an der das Bündel lag, weil auch er dort ist.

Er leckt gierig den eisigen Boden und bemerkt mich überhaupt nicht.
Wir sind eins, er und ich.

Irgendwie sind wir eins und doch auch so verschieden.
Dann entferne ich mich, um dem kalten Wind zu lauschen, der noch immer verspielt durch das kahle Geäst der Bäume zischt.
Er hat viel zu erzählen, der Wind.

Eine bizarre Geschichte und schöne Worte. Doch hinter der Phantasie des Augenblicks steckt mehr, als man vermutet, ganz verborgen und unheimlich, die Realiät.

So ist wohl über den Pfad des Todes die Realität des Augenblicks mit der individuellen Realität des Menschen verbunden. Und wenn man lernt Verbindungen zu sehen und zu interpretieren, dann erkennt man schnell, daß der Mensch sehr fest über viele Verbindungen mit dem Augenblick verbunden ist. Wir Menschen sind geneigt, unser Schicksal mit den Auswirkungen des Augenblicks gleichzusetzen. Doch vielmehr ist es so, daß wir unser Schicksal dem Augenblick willenlos in den Schoß der Zeit legen. Wir haben sogar vergessen ihn wahrzunehmen, obwohl er unser Leben inzwischen völlig in der Hand zu haben scheint. Er ist jedoch vielmehr nur ein gleichberechtigter Partner, den wir in der Zwischenwelt treffen können, wollten und könnten wir sie wahrnehmen. Uns steht es frei ebenso zu nehmen, wie wir bereits seit Anbeginn der Zeit bereit sind, ihm zu geben.

Das Geben ist dabei, gewichtet man den Faktor Zeit nicht wesentlich mit, nur ein Zustand und kein Prozeß. Das ist eine wichtige Feststellung, da so auch das Nehmen kein Prozeß, sondern ein Zustand ist, der uns nur über die Interpretation der Zeit, wie ein Prozeß erscheint. So also versteht der Narr seine Realität als einen Zustand, in dem sein Leben auch nur über eine Interpretation der Zeit zu einem Prozeß wird. Prozesse haben für ihn stets nur virtuellen, fiktiven Charakter. Sie sind ein Konstrukt des menschlichen Geistes. Da jedoch der menschliche Geist die Fähigkeit besitzt, ein Selbstbewußtsein auszuprägen und Fantasie zu entwickeln, sollte es möglich sein, diese Konstrukte nahezu grenzenlos zu verändern und sie zu modifizieren. Hierzu gibt es sogar etliche Beweise, da diese Fähigkeit des menschlichen Geistes, als Kreativität gehandelt wird, die bekanntlich die wesentliche Prämisse für eine Weiterentwicklung des Menschen darstellt. So haben bekannte Schöpfer unter den Menschen, wie Albert Einstein, Sartre, Kant und viele andere in ihrem jeweiligen Gebiet die Menschheit entscheidend weitergebracht, was ohne Phantasie und Kreativität wohl nicht möglich gewesen wäre. „Phantasie ist wichtiger als Wissen“, soll Albert Einstein sogar gesagt haben, wobei er wohl genau wußte, von was er da sprach. Hierbei ist der genannte Begriff „Weiterentwicklung“ etwas unglücklich gewählt, da es sich eigentlich nur um eine Veränderung von diesen imaginären Prozessen, die nur in unseren Köpfen, über unsere Interpretation der Zeit, Gestalt gewinnen. Nur die Grenzenlosigkeit an sich ist kein Prozeß, sondern ein Zustand, eine der Gesetzmäßigkeiten, dem unser Bewußtsein unterliegt.

Die Zwischenwelt ist also nicht anderes als die Realiät an sich, die für uns nur in einer rein rhetorisch, fiktiven Form existiert, weil wir in unseren eigenen Realitätsfragmenten leben, in denen wir uns mehr und mehr faul zurücklehnen. Wir begnügen uns mit dem, was sich uns als Realiät nahezu aufdrängt und erfassen nicht, daß diese Einstellung, kultivieren wir sie weiter, das Ende der Menschheit besiegeln kann.

Um wieviel reicher könnte unser Leben werden, wenn wir auf diesem Pfad umkehren würden. Wir müßten zuerst lernen, uns den verbliebenen Botschaften unserer Sinne öffnen zu können und unsere Sinne mehr und mehr zu schärfen. Vergessene und verkümmerte Sinne sollten wir neu entdecken und sie aktivieren. Die Sinne des Menschen geben seinem Leben einen Sinn. Sie sind die Baumeister seiner Realität. Zusammen mit seinen kognitiven Fähigkeiten bestimmen sie, wieviel von der Zwischenwelt wir erfahren und wahrnehmen können.

Der Narr hat von Anfang an den richtigen Pfad gewählt, oder er hat frühzeitig die Umkehr verstanden und für sich vorgenommen, so daß die Zwischenwelt mehr und mehr zu seiner Realität geworden ist. Oftmals hat er verborgene Sinne aktivieren und vorhandene Sinne schärfen können, die ihm nun eine Interaktion mit Elementen der Zwischenwelt ermöglichen, die den meisten anderen Menschen verborgen bleiben. Der Narr ist den Menschen unheimlich geworden, weil sie ihn nicht verstehen und die Auswirkungen seiner Aktivitäten nicht abschätzen und erfassen können. Sie grenzen ihn aus, meiden ihn, lachen über ihn und manchmal bekämpfen und töten sie ihn sogar. Doch mit jedem Meilenstein den der Narr in der Zwischenwelt erreicht, wird ihm die Aufmerksamkeit der schlafenden Menschen unwichtiger, und sie erscheint ihm immer mehr kleiner. Das hat mit einer gewissen Auspielung von Macht und Überheblichkeit jedoch nichts zutun, da der Narr lediglich erkennt, wie bedeutungslos der menschliche Zustand an sich ist, zu dem auch er selbst gehört. Es ist vielmehr der Ansatz der Erkenntnis der wirklichen Rolle des Menschen im Sein der Realität. So erscheinen ihm wesentliche Betätigungsfelder der schlafenden Menschheit grotesk und irrational. Doch da der Aspekt der Zeit für ihn ebenso eine untergeordnete Rolle spielt, legt er kaum Wert auf eine Änderung, solange er das Gesamtbild der Realität nicht erfassen kann. Es ist vielmehr eine Art menschlicher Drang zu Lernen, die ihn dazu veranlaßt immer wieder Impulse aus der Zwischenwelt in die Realitäten seiner Mitmenschen einzuschmuggeln, um den Zustand zu verändern. Man kann man sich das beispielsweise so vorstellen, als wäre man in einem finsteren Zimmer in dem man nichts sehen kann. In der Mitte steht ein Tisch, den man ebenso nicht sehen kann, auf widerum dem eine Schale mit einem winzigen, brennenden Flämmchen steht, die man auch nicht sehen kann. Der Narr steht vor den Dingen die er nicht sehen kann, aber von denen er weiß, daß es sie gibt, weil er ja das Flämmchen und das von ihm knapp erleuchtete, ganz nahe Umfeld sehen kann. Er will versuchen den Zustand der Flamme zu verändern, um mehr sehen zu können, oder um das Brennen der Flamme in seiner Intensität zu erhalten, indem er versucht, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, auf die Flamme einzuwirken. Der finstere Raum also, mit allem Unbekannten in ihm, ist die Zwischenwelt, und das Flämmchen auf dem Tisch sind die Botschaften unserer Sinne, die wir zu verarbeiten suchen, um sie zu Bildern in unseren Köpfen werden zu lassen, die für uns unsere Realität darstellen.

Doch der Narr ist sich zudem bewußt, daß er sich in einem Raum befindet, dessen Wände er nicht sehen kann, und er ist sich zudem ebenso bewußt, daß es außerhalb diesen Raumes auch noch etwas gibt, das er nur gefahrlos erreichen kann, wenn der Raum halbwegs für ihn erhellt wäre. Doch diese Dunkelheit der Zwischenwelt existiert nur für die schlafenden Menschen und ihn.

Auch wenn beim Lesen dieses Buches der Eindruck entstehen mag, das Mensch und Narr zweierlei Wesen sind, so bleibt und ist der Narr doch auch nur ein Mensch.

Es sind vielmehr die schlafenden Menschen, die ihn wegen seiner Andersartigkeit im Denken, Handeln und seiner hohen Emotionalität nicht akzeptieren, ihn verändern und erziehen wollen.

Emotionalität, Kreativität und Phantasievermögen sind für die schlafende Mehrheit ein klares Attribut der Schwäche in einer meistens unterbewußten Annahme, daß nur der Stärkere überleben und sich fortpflanzen darf.

Das kreative, sehr sensible Menschen tatsächlich vermehrt in der Gesellschaft und in ihrem Berufsleben von Schläfern attackiert und nicht wenig diskriminiert werden, kann man sogar in recht vielen wissenschaftlichen Studien nachlesen, wie beispielsweise in der jungen, gerade veröffentlichten Arbeit von Psychologen der Universiät in Göttingen, die sinngemäß belegt, daß sogar recht offenherzig mit der Welt agierende kreative Menschen wesentlich leichter zu sogenannten Mobbing – Opfern werden, als ihre ruhigeren, zurückhaltenderen Kollegen.

So also ist der Narr ein Mensch, der in seiner ständigen Einsamkeit zu leben verdammt ist und der sich vor den meisten Mitmenschen sogar begründet fürchtet.

Der Narr selbst, als Teil der modernen Gesellschaften, muß immer wieder gegen die sich ihm aufdrängende Feststellung ankämpfen, sich selbst als Narr in dieser Welt, diesem aktuellen Zustand der Realität, völlig fehlplatziert zu sehen. Ich selbst überlege mir immer wieder und wieder, warum ich in dieser Welt der Schläfer lebe, in die ich überhaupt nicht hinein gehöre und mit der ich mich in kaum einer Weise identifizieren kann. Es liegt auf dem Narren oftmals eine bleierne Depressivität. Er ist ein Mensch, und doch sieht er sich nicht unbedingt zur menschlichen Gesellschaft zugehörig. Er sieht sich ständig der Fission ausgesetzt, die Menschen wegen ihrer amorphen und streng dualismenabhängigen Lebenshaltung zu verachten und sie mit ihrem Leben sich selbst zu überlassen, um sich auf der anderen Seite jedoch zu Teilen von ihnen hingezogen zu fühlen. Hingezogen fühlen, zu dem sensiblen Kern der Menschen und seiner tief im Verborgenen liegenden Emotionaliät und der Schutzlosigkeit vor sich selbst. Und da sind auch die wenigen Erwachten, selten auch andere Narren und die wenigen Phantasieträger dieser Welt, die noch tatsächlich für sich in der Lage sind, zu träumen und zu hoffen, zu denen er sich hingezogen und für die er sich verantwortlich fühlt.

Doch die schlafende Masse ist so erdrückend, so gewaltig und emotionslos. Sie droht erbarmungslos alles zu zerdrücken, was sich ihr in den materiellen Weg stellt, ohne selbst jemals Schuld auf sich zu laden. Sie gehört ebenso zu diesem Zustand, wie auch der Narr selbst .

Doch eine schlafende Gesellschaft ist weder gut noch böse. Beides sind ausschließlich Attribute, die nur in den Köpfen der

Menschen existieren, damit eine rein menschliche Kopfgeburt sind, ohne tatsächlich einen festen Sinn zu ergeben.

Gut und Böse gehören zu den veränderlichsten Attributen der menschlichen Bewußtseins- und Selbsterhaltungsschmiede.

Was heute böse ist, kann morgen bereits gut sein. So versuchen wir unsere Welt in viele sicherheitsspendende Dualismen zu pressen, um uns besser zu fühlen und besser schlafen zu können.

Daher ist auch der schlafende Mensch weder gut, noch böse und er selbst hat nur den Effekt, bei anderen Lebewesen Emotionen, oder materielle, körperliche Veränderungen auszulösen, bis hin zur Zerstörung ganzer Lebensräume.

Die gesamte neuere Entwicklung der Menschheit deutet auf ein massiv gestörtes Wahrnehmungsvermögen der meisten Menschen hin. Nur ein sehr unvollständiges und gestört wahrgenommenes, subjektives Weltbild kann die Menschheit so sehr in Gefahr bringen, daß sie sich selbst durch atomare Bomben und andere sinnlose Lebensraumzerstörung dauerhaft zu vernichten droht. Auch der Selbsterhaltungstrieb scheint dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein.

Es erscheint mir als völlig gestört und krankhaft, daß die Menschen auf einen Abgrund zusteuern, den sie sich selbst geschaffen haben, den sie augenscheinlich nicht einmal richtig wahrnehmen können und dann von sich sogar stolz behaupten, Realisten und der Mittelpunkt des Universums zu sein.

Die Inhalte des maroden subjektiven Weltbildes werden über die neuen Medien ungefiltert abgeglichen, ein Update für das Rutschen in das Verderben, bei dem wir den entstehenden neuen Zustand nach dem Verderben nicht einmal im Entferntesten abschätzen können. So müßten aus meiner Sicht die neuen Medien böse sein, da sie zu einer Verquickung des Prozesses beitragen und ein technischer Atavismus das gegensätzlich Gute. Doch ich lehne dieses imaginäre, dualistische Konstrukt von Gut und Böse einfach kategorisch ab, und ich sehe es vielmehr als ein Steuerungsmechmanismus dafür, daß wir, diese doch so hochzivilisierten Industriemenschen, uns nicht selbst gegenseitig meucheln und dem völligen Anarchismus verfallen. So komme ich dann zu dem Punkt geschlendert, daß die menschlichen Gesellschaften, aus meinem närrischen Gesichtspunkt heraus, nur ohne ihre steuernde Dualismen überleben können, wenn sie ein wesentlich erweitertes Bewußtseinsvermögen erreicht haben, daß sie jedoch nur kultivieren können, wenn sie Spiritualität, Kreativität, Phantasievermögen und Emotionalität nicht als Paralysator und menschliche Schwachstelle verdammen, sondern sie weiterentwickeln und mit gemeinsamer Kraft fördern. Hierzu ist es absolut notwendig, sinnvoll leben zu lernen, die Sinne zu sensibilisieren, vergessene Sinne neu zu entdecken und die von ihnen erbrachten Informationen, so korrekt und tiefgründig wie nur irgendwie möglich, zu verarbeiten, um wieder ein stabileres subjektives Weltbild zu erhalten.

So würde ein Erwachen zwar nicht unbedingt angestrebt, müßte daher also auch nicht bekämpft werden, jedoch die Möglichkeit zu dem Willen erwachen zu wollen, läge dann wesentlich griffbereiter.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert