Phantastik oder wahre Wunder entscheide selbst bei dem zehnten Kapitel vom EBook »Wundervolle Nasha«:
Ich kann bis heute nicht annähernd erläutern, was er wollte und woher er kam. Er war plötzlich ganz einfach da.
Vielleicht habe ich ihn zufällig vom Friedhof mitgebracht?
Damals hielt ich mich nach Feierabend im Büro gerne und oft dort auf. Es war eben Frühling. Der Friedhof war wunderschön und ein ruhiges Kleinod im lauten Gewirr der Stadt. Viele Geistergeschichten hört und liest man immer wieder, wenn es um alte Friedhöfe geht. Doch nur die wenigsten Menschen wissen wirklich, dass es in erster Linie die Menschen selbst sind, die diese sogenannten Geister mit an diese Ort bringen.
Friedhöfe sind Orte der Besinnlichkeit, der Trauer und des Friedens. Die Menschen halten dort ihren Mund und sind weniger geschwätzig, oder zumindest flüstern sie, wenn sie sich dort aufhalten und eine halbwegs gute Kinderstube hatten.
Einige Menschen stehen durch ihren oftmals noch frischen Verlust, der Zwischenwelt recht nahe. Der frische Schmerz betäubt sie für den Lärm des Alltags und der Menschen. Sie sind für die Reize der Zwischenwelt empfänglicher und viel sensitiver, als andere Menschen. Wen wundert es da, dass es im Dunstkreis der Friedhöfe so viele Geschichten über Spuk und Geister gibt?
Mich verwundert das schon lange nicht mehr.
So war ich also in diesem schönen Frühling ebenfalls oft auf dem Friedhof. Dort gab es ein Meer an Gänseblümchen und anderen bunten Blumen. Die alten Bäume luden zum Träumen ein.
Es mag sein, dass irgendetwas dort, an diesem recht friedlichen Ort, auf mich aufmerksam geworden ist. Vielleicht war das Interesse an mir auf eine rätselhafte Art und Weise so groß gewesen, dass sich dieses unerforschte und unbekannte Etwas direkt an mich geheftet hatte. Sicher liest sich das für einige Leser phantastisch und fast sogar schon Abenteuer artig. Doch woher sonst, woher denn bitte sonst, sollte er sonst gekommen sein?
So geschah es an einem dieser Abende, dass er sich mir zeigte. Ich lag schon in meinem Bett und bemühte mich, gerade ein zu schlafen. Gerade als ich mich umdrehen wollte, da bemerkte ich, dass etwas im Türrahmen stand. Ich blickte nun natürlich genau hin und erkannte den Oberkörper und den Kopf eines alten Mannes, der im rechten Rahmen der Tür schwebte.
Es zeigte sich mir kein Unterkörper und keine Beine. So sah man ihn ansonsten recht deutlich. Er schwebte in der rechten oberen Ecke des Türrahmens und blickte mich mit weit aufgerissenen und starren Augen an. Ich erschrak natürlich fürchterlich und rief meine Frau herbei. Selten habe ich mich so vor einer dieser seltsamen Erscheinungen erschreckt, wie an diesem Abend vor dieser. Doch bevor meine Frau erschien, löste sich die Erscheinung einfach in Luft auf und war dann verschwunden.
Doch in den darauf folgenden Wochen sah ich diesen alten Mann immer wieder in unserer Wohnung. Rasch kam der Verdacht seitens meiner Frau auf, dass ich ihn wohl auf irgendeine Art und Weise vom Friedhof mitgebracht haben musste. Eine andere Erklärung hatte wir damals einfach nicht für sein Auftreten.
So kam es dann plötzlich vermehrt vor, dass wir am Abend im Wohnzimmer saßen und plötzlich einen seltsamen Geruch wahrnahmen. Dann schien es, als würde sich eine Art Blase aus eiskalter Luft bilden, die sich durch die ganze Wohnung bewegte. Deutlich konnte man sie wahrnehmen.
Schon während sie sich uns näherte, wurde uns seltsam unwohl, und meine Frau begann schneller zu atmen.
So näherte sich dieses Phänomen und entfernte sich dann wieder. Liefen wir dann suchend und prüfend durch die Wohnung, konnte man diese Kälteblase plötzlich in einem anderen Raum spüren und hatten wieder diese unerklärliche Panik. Auch sah man dann schon einmal Teile von dem Kopf des alten Mannes, oder man hörte ein seltsames Summen in der Luft.
In manchen Nächten träumte man von ihm und wurde regelrecht von ihm aus dem Schlaf gerissen. Meine Frau hielt ihn für bedrohlich, wenn nicht sogar für böse. Das war ganz erstaunlich. Sie hatte noch niemals zuvor, eine der Erscheinungen für bedrohlich gehalten. Ich wollte mich dieser Ansicht nicht anschließen. Zwar war für mich die Angst eine völlig normale Reaktion auf ein derartig unbekanntes Phänomen, aber die Angst alleine, sie konnte man nicht dazu benutzen, dieses gesamte Phänomen eventuell leichtfertig, als bedrohlich und böse zu bewerten. Das schien mir falsch zu sein.
Nach einigen Wochen wurden diese Begegnungen zu dem Mann seltener, und sie hörten schließlich wieder ganz auf. Offenbar fand der alte Man nicht das, was er bei uns gesucht hatte. Doch meine innere Stimme, sie war sich bei ihm ganz sicher. Er war etwas anderes, ein anderes Phänomen, als jene geisterhaften Phänomene, die wir sonst immer wieder erleben durften. Dieses Phänomen, es war kälter, irgendwie in sich leerer und einfach fremd.
Autor: © Alexander Rossa 2024